Auferstehung 2. Band (German Edition)
noch schlimmer. Wenn ich wenigstens ein Mittel wüßte, von hier wegzukommen! Ein hartes, hartes Handwerk!«
Nechludoff wußte nicht, worin die harten Verpflichtungen des Direktors bestanden; doch ohne sie zu kennen, glaubte er an diesem Tage an ihm ein außergewöhnliches Leiden, eine ganz besonders traurige und verzweifelte Stimmung zu bemerken.
»Ja, ich glaube gern, daß es ein hartes Handwerk ist,« sagte er zu ihm. »Aber wenn es Sie in einen solchen Zustand bringt, warum verzichten Sie nicht darauf?«
»Der Mangel an Vermögen, die Familie ...«
Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort:
»Das ist noch nicht alles. Denn schließlich thue ich nach meinen Kräften alles, was ich kann, um das Schicksal der Gefangenen zu lindern, und in gewissen Punkten gelingt es mir ja auch; ein anderer würde sie an meiner Stelle ganz anders behandeln. Glauben Sie, es sei eine Kleinigkeit, fast zweitausend Menschen, und Menschen dieser Art, zu dirigieren? Man muß wissen, wie man sie zu nehmen hat. Es sind doch Menschen, und sie thun einem immerhin leid. Doch wenn man sie verzieht, ist alles verloren.«
Der Direktor begann nun eine erst kürzlich passierte Geschichte zu erzählen; eine Prügelei zwischen zwei Gefangenen, die mit dem Tode des einen geendet hatte.
Seine Erzählung wurde durch den Eintritt der Maslow unterbrochen, die in Begleitung eines Aufsehers erschien.
Nechludoff sah sie bereits aus der Schwelle, bevor sie die Anwesenheit des Direktors noch bemerkte. Ihr Gesicht war rot und glühend. Sie schritt schnell hinter dem Aufseher her, ohne ihr Lächeln einzustellen. Als sie den Direktor bemerkte, blieb sie einen Augenblick mit erschrockener Miene stehen, wandte sich aber sofort in fröhlicher Laune nach Nechludoff und sagte zu ihm mit lächelnder Miene: »Guten Tag!«
Dabei drückte sie ihm kräftig die Hand, anstatt sie, wie beim vorigen Mal, nur einfach zu berühren.
»Ich habe Ihnen Ihre Berufung mitgebracht,« sagte Nechludoff, der sich wunderte, sie so lebhaft zu sehen. »Der Advokat hat sie aufgesetzt; Sie brauchen sie nur zu unterzeichnen; wir schicken sie dann nach St. Petersburg.«
»Nun gut, dann werden wir sie eben unterzeichnen; nichts einfacher als das!«
Sie fuhr fort zu lächeln, und eins ihrer Augen schielte stärker, als gewöhnlich. Nechludoff zog das Papier aus der Tasche und näherte sich dem Tische.
»Kann man das hier unterzeichnen?« fragte er den Direktor.
»Setz' dich hierher,« sagte der Direktor zu der Maslow. – »Da ist eine Feder und Tinte. Kannst du denn schreiben?«
»Ich habe es früher gekonnt!« versetzte sie lächelnd, hob ihren Rock hoch, warf ihren Aermel zurück, setzte sich an den Tisch, ergriff energisch die Feder und fragte, sich wieder lächelnd zu Nechludoff wendend, was sie thun sollte. Er erklärte ihr, wo und in welchen Ausdrücken sie unterzeichnen müßte.
»Das ist alles?« fragte sie und sah abwechselnd Nechludoff und den Direktor an.
»Ich habe Ihnen noch etwas zu sagen!« sagte Nechludoff, während er ihr die Feder aus der Hand nahm.
»Nun, so sprechen Sie!«
Ihr Gesicht wurde plötzlich wieder ernst, als wäre ihr irgend ein Gedanke in den Sinn gekommen oder als hätte sie eine heftige Schlafsucht befallen.
Der Direktor erhob sich und verließ das Zimmer, und Nechludoff blieb mit der Maslow allein.
----
Der entscheidende Augenblick war für Nechludoff endlich gekommen. Er hatte sich fortwährend Vorwürfe gemacht, daß er nicht schon bei seiner ersten Zusammenkunft mit der Maslow gewagt, ihr die Hauptsache zu sagen, daß es seine Absicht war, seine Schuld dadurch zu büßen, daß er sie heiratete. Doch diesmal wollte er ihr alles sagen, mochte kommen, was da wollte!
Er bestärkte sich in seinem Entschlusse, als er der Gefangenen gegenüber am andern Ende des Tisches Platz nahm.
Das Zimmer, in dem sie sich befanden, war hell, und Nechludoff konnte das Gesicht der Maslow in Ruhe betrachten; er sah die Runzeln um den Mund und an den Augen, die angeschwollenen Lider, den allgemeinen Ausdruck frühzeitiger Ausschweifung und Erniedrigung, es beschlich ihn eine tiefe Traurigkeit, und sein Mitleid mit ihr ward noch größer.
Er stellte sich so an den Tisch, daß er von dem Aufseher, der die Maslow hergebracht, weder gehört, noch gesehen werden konnte; der Aufseher blieb im Winkel am Fenster, am andern Ende des Zimmers sitzen. Jetzt neigte sich Nechludoff zu der Maslow hinüber und sagte zu ihr:
»Wenn die Berufung nicht
Weitere Kostenlose Bücher