Auferstehung 3. Band (German Edition)
Güter verzichtet hatte, erinnerte, sah er, wie sich gleichsam wie eine Antwort auf diese Gedanken, die feine und reizende Gestalt Mariettes vor ihm aufrichtete, und er hörte, wie sie seufzend zu ihm sagte: »Gott weiß, wann wir uns wiedersehen werden!« Und wieder sah er ihr Lächeln; er sah es so deutlich und lebhaft, daß er selbst in der Nacht zu lächeln anfing. Unwillkürlich fragte er sich, ob er ein Recht gehabt, die Verpflichtung einzugehen, nach Sibirien zu reisen und sich seines ganzen Vermögens zu berauben.
Er fragte sich das, und die Antworten, die ihm in dieser klaren Petersburger Nacht in den Sinn kamen, waren merkwürdig unbestimmt und verworren. Alles ging in seinem Kopfe drunter und drüber. Er beschwor seine alten Gefühle herauf und ließ seine alten Gedanken wieder auferstehen; doch diese Gedanken und Gefühle hatten ihre frühere Macht über ihn verloren. »Ich habe mir da wieder Träume zusammengebaut, mit denen ich nicht leben kann,« dachte er, und da er sich von Fragen bedrängt fühlte, auf die zu antworten er nicht im stande war, so empfand er eine tiefe Traurigkeit und Mutlosigkeit, wie er sie seit langer Zeit nicht mehr gekannt. Als er gegen Morgen endlich einschlafen konnte, verfiel er in jenen dumpfen, schweren Schlummer, wie früher, wenn er die Nächte beim Kartenspiel zugebracht.
----
Das erste Gefühl Nechludoffs, als er am nächsten Morgen erwachte, war die unklare Empfindung, am vorigen Tage eine häßliche Handlung begangen zu haben. Er sammelte seine Erinnerungen, eine häßliche Handlung hatte er nicht begangen, aber häßliche Gedanken hatte er gehabt, was in seinen Augen noch schlimmer war. Entsetzt fragte sich Nechludoff, wie er bloß, wenn auch nur auf einige Minuten, solchen Gedanken sein Ohr hätte leihen können. So neu und schwierig sein Entschluß ihm auch war, er wußte doch, das Leben, das sich für ihn daraus ergeben würde, wäre das einzig mögliche für ihn. Und so leicht es auch für ihn gewesen wäre, zu seinem alten Leben zurückzukehren, er wußte doch, das wäre für ihn mit dem Ende des Lebens gleichbedeutend gewesen. Sein Zögern vom vorigen Tage machte auf ihn nur den Eindruck, wie die letzten faulen Bewegungen des erwachenden Menschen, der sich noch in seinem Bette reckt und wieder unter die Decken kriecht, während er doch weiß, daß der Augenblick gekommen ist, da er sich zu einer guten und wichtigen Angelegenheit erheben muß.
Schnell stand er auf und begab sich nach der Straße, in der die Mutter der Tschustoff wohnte.
Die Wohnung der Tschustoffs befand sich im zweiten Stock. Nach den Angaben des Portiers schritt Nechludoff durch dunkle Gänge, kletterte eine düstre und anstrengende Treppe hinauf und trat in eine zu stark geheizte Küche, die ein unerträglicher Geruch von schlechtem Fett erfüllte. Eine alte Frau stand mit aufgekrempten Aermeln, eine Schürze umgebunden und eine Brille auf der Nase, am Herde und mischte etwas in eine Kasserole.
»Was wünschen Sie?« fragte sie mit mißtrauischer Stimme, über ihre Brille blickend.
Noch Nechludoff hatte kaum seinen Namen genannt, als das Gesicht der alten Frau bereits den Ausdruck etwas schüchternen Vergnügens angenommen hatte.
»Ach, Fürst!« rief sie, die Hände an der Schürze abtrocknend, »wie gütig von Ihnen, daß Sie diese dunkle Treppe hinaufgestiegen sind! Sie, unser Wohlthäter! Ich bin ihre Mutter, Sie sind unser Retter,« fuhr sie fort, indem sie sich bemühte, Nechludoffs Hand, die sie in der ihrigen hielt, an ihre Lippen zu drücken. »Ich habe mir erlaubt, Sie gestern aufzusuchen. Meine Schwester hatte darauf bestanden, ich solle es thun. Meine Tochter ist hier, hier entlang, bitte, folgen Sie mir.«
Sie führte Nechludoff durch eine enge Thür in einen kleinen, schlecht erleuchteten Gang und versuchte dabei fortwährend, ihre Haare aufzustecken oder ihre nachlässige Kleidung in Ordnung zu bringen.
»Meine Schwester, die Kornilowa ...« sagte sie, »Sie haben jedenfalls von ihr gehört, sie war in eine Geschichte verwickelt ... eine sehr intelligente Person.« Mit diesen Worten öffnete sie eine Thür, die auf den Gang führte und ließ Nechludoff in ein kleines Zimmer treten, in welchem ein untersetztes junges Mädchen in einer gestreiften Kattunbluse, mit blonden, leichtgewellten Haaren, die ein rundes, äußerst blasses Gesicht umgaben, auf einem Divan saß. Ihr gegenüber saß ein junger Mann mit kleinem Schnurrbart, der eine russische Bluse mit
Weitere Kostenlose Bücher