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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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bejahrte Schauspielerin gerichtet, die, in Seide und Spitzen gekleidet, mit zerhackter und affektierter Stimme einen Monolog deklamierte. Als Nechludoff in die Loge trat und ihm gleichzeitig ein warmer und frischer Luftzug ins Gesicht schlug, drehte sich einer der Zuschauer nach ihm um und machte entrüstet: »Sst!« In der Loge hatte Mariette zwei Männer und eine dicke Dame in rotem Kleide mit einem ungeheuren Chignon neben sich sitzen. Von den beiden Männern war der eine der Gatte Mariettes, den Nechludoff zum erstenmale sah. Er war groß und wohlgebaut, mit gewölbter Brust, einem kühlen und harten Gesicht und großer Adlernase. Der andere Mann war ein kleiner, untersetzter Blondin mit grauem Schnurr- und Backenbart. Graziös, fein und elegant, in einem dekolletierten Kleide, das ihre festen und muskulösen Schultern sehr tief sehen ließ, saß Mariette im Vordergrund der Loge. Auch sie wandte sich beim Geräusch der Thür um, zeigte Nechludoff einen hinter ihr stehenden Stuhl und lächelte ihm vertraulich und bedeutungsvoll zu. Ihr Gatte nickte dem Fremden mit der Ruhe, die er bei allen seinen Handlungen zur Schau trug, mit dem Kopfe zu und warf dann einen befriedigten Blick auf seine Frau, den Blick des Besitzers eines schönen und eleganten jungen Weibes.
    Als der Monolog zu Ende war, erbrauste das Theater unter einem wütenden Applaus. Sofort erhob sich Mariette und ging, mit einer Hand ihren Seidenrock festhaltend, in den Hintergrund der Loge, um Nechludoff ihrem Manne vorzustellen. Dieser lächelte seiner Frau weiter zu, reichte dem jungen Manne die Hand und sagte ihm in ruhigem Tone, er wäre entzückt, ihn kennen zu lernen. Damit war ihre Unterhaltung beendet.
    »Ich hätte heute abend abreisen sollen, und ohne das Versprechen, das ich Ihnen gegeben, hätte ich es auch gethan,« sagte Nechludoff, sich zu Mariette wendend.
    »Wenn es Ihnen kein Vergnügen macht, mich zu sehen,« versetzte diese, die seine Gedanken von neuem erriet, »so wird es Ihnen vielleicht Vergnügen machen, eine bedeutende Künstlerin zu sehen und zu hören. Wie schön sie in der letzten Scene war, nicht wahr?« fragte sie, sich zu ihrem Gatten wendend.
    »Ich muß Ihnen gestehen, das alles bewegt mich nicht besonders,« versetzte Nechludoff, »ich habe heute so viel wirkliches Elend gesehen, daß ich ...«
    »Nun, setzen Sie sich und erzählen Sie mir alles.« Der Gatte hörte die Unterhaltung zerstreut mit an, indem er immer ironischer lächelte.
    »Ich bin zu dem unglücklichen Geschöpf gegangen, das man endlich in Freiheit gesetzt hat, nachdem man sie so lange im Gefängnis behalten; sie ist auf ewig vernichtet.«
    »Das ist die Frau, von der ich dir heut' erzählt habe,« sagte Mariette zu ihrem Gatten.
    »Ach ja, ich bin sehr glücklich gewesen, daß ich sie freilassen konnte,« versetzte der Gatte, während er sich erhob, um im Foyer eine Cigarette zu rauchen.
    Nechludoff blieb sitzen und wartete immer, Mariette würde ihm »das« sagen, was sie ihm zu sagen hatte. Sie aber sagte ihm nichts, suchte ihm gar nichts zu sagen, sondern scherzte und sprach von dem Stücke, das ihn wohl ihrer Meinung nach ganz besonders interessieren mußte. Er sah bald, daß sie ihm in Wirklichkeit nichts zu sagen hatte, sondern daß sie sich ihm nur im vollen Glanze ihrer Abendtoilette mit den nackten Schultern und dem Schönheitsfleck auf einer derselben zeigen wollte, und diese Entdeckung bereitete ihm Vergnügen und erregte ihm gleichzeitig Widerwillen. Das Vergnügen kam von dem äußeren Zauber, der auf alledem lag; doch Nechludoff entdeckte gleichzeitig, was hinter diesem äußeren Zauber steckte, und das erregte ihm Widerwillen. Er freute sich über Mariettes Aussehen; doch gleichzeitig sagte er sich, diese hübsche Frau wäre eine Lügnerin, sie füge sich wunderbar in das Leben mit ihrem Schurken von Gatten; alles, was sie ihm am vorigen Tage gesagt, wäre erlogen, und sie wollte von ihm nichts weiter, als ihn zwingen, sich in sie zu verlieben. Und das war ihm gleichzeitig verhaßt und angenehm. Mehrmals erhob er sich von seinem Stuhle, um sich zu verabschieden, setzte sich aber immer wieder. Doch als der Gatte endlich mit einem starken Likörgeruch in seinem dicken Schnurrbart in die Loge zurückkehrte und seine ironischen Blicke auf den jungen Mann richtete, hielt es Nechludoff nicht mehr aus, benützte den Umstand, daß die Thür offen geblieben war, und stürzte auf den Korridor.
    Als er über den Newsky-Prospekt ging, um zu seiner

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