Auferstehung 3. Band (German Edition)
gesticktem Kragen trug. Der junge Mann, der zusammengekauert auf seinem Stuhle dasaß, sprach so eifrig, daß zuerst weder er, noch das junge Mädchen den Eintritt Nechludoffs bemerkten.
»Lydia, der Fürst Nechludoff hat geruht ...«
Das blasse junge Mädchen überflog ein nervöses Zittern. Mit mechanischer Bewegung warf sie eine Locke hinter das Ohr zurück und richtete schüchtern ihre grauen Augen auf den Fremden.
»Endlich sind Sie frei,« sagte Nechludoff und reichte ihr lächelnd die Hand.
»Ja, endlich,« versetzte das junge Mädchen, während ihr Mund sich zu einem gutmütigen Kindeslächeln öffnete, und sie eine Reihe weißer Zähne zeigte. »Meine Tante hat Sie zu sprechen gewünscht. Tantchen!« rief sie, sich einer Thür zuwendend.
»Wera Efremowna hat sich über Ihre Verhaftung viele Sorgen gemacht,« sagte Nechludoff.
»Setzen Sie sich lieber hierher,« sagte Lydia und deutete mit dem Finger auf den Rohrstuhl, von dem der junge Mann aufgestanden war. »Mein Bruder,« fügte sie als Antwort auf den Blick, den Nechludoff auf ihren Gefährten warf, hinzu. Dieser schüttelte dem Fremden mit demselben gutmütigen Lächeln, das das Gesicht seiner Schwester verklärt hatte, die Hand und setzte sich dann ans Fenster, wo sich ein Gymnasiast von 15 oder 16 Jahren zu ihm gesellte.
»Wera Efremowna ist mit meiner Tante sehr befreundet, doch ich kenne sie fast gar nicht,« sagte das junge Mädchen.
In diesem Augenblicke kam eine Frau von 40 Jahren mit angenehmen und intelligenten Gesichtszügen aus dem Nebenzimmer. »Wie gütig, daß Sie gekommen sind,« rief sie und setzte sich neben ihrer Nichte auf den Divan, »Nun, und Werotschka? haben Sie sie gesehen, wie erträgt sie ihre Lage?«
»Sie beklagt sich nicht,« versetzte Nechludoff.
»Daran erkenne ich sie; welch große Seele! alles für die andern und nichts für sich!«
»Sie hat allerdings für sich um nichts gebeten und sich nur mit Ihrer Nichte beschäftigt. Sie hat mir gesagt, sie wäre vor allem über diese ungeheure Verhaftung betrübt.«
»In der That, eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit, die Unglückliche hat für mich gelitten.«
»Aber nicht doch, Tantchen,« rief Lydia, »ich hätte diese Papiere ohne Sie genommen.«
»Gestatte! Das weiß ich besser als du,« fuhr die Tante fort, »Sehen Sie,« sagte sie zu Nechludoff, »das alles kam daher, daß jemand mich bat, seine Papiere an mich zu nehmen und ich dieselben, weil ich keine eigene Wohnung habe, meiner Nichte ließ. In derselben Nacht kam die Polizei hin, hat die Papiere konfisziert und sie verhaftet. Und man hat sie bis jetzt dabehalten, weil sie nicht sagen wollte, von wem sie diese Papiere hatte.«
»Und ich habe es auch nicht gesagt,« erklärte Lydia eifrig.
»Das sage ich ja auch nicht,« versetzte die Tante.
»Wenn man Mitin verhaftet hat, so geschah das nicht meinetwegen,« fuhr Lydia errötend fort, indem sie einen unruhigen Blick auf ihre Umgebung warf.
»Aber du brauchst uns das ja gar nicht zu sagen, Lydotschka,« meinte die Mutter.
»Warum nicht? Ich werde im Gegenteil davon sprechen,« erklärte Lydia. Sie lächelte nicht mehr, war ganz rot und wickelte ihre Haare um ihren Finger, indem sie weiter unruhige Blicke nach den verschiedenen Seiten warf.
»Ich habe es nicht gesagt,« fuhr sie fort, »und mich darauf beschränkt, zu schweigen. Als sie mich nach meiner Tante und Mitin fragten, habe ich nicht geantwortet, und auch erklärt, ich würde nichts antworten. Da hat dieser Kiriloff ...«
»Kiriloff ist ein Gensdarm,« sagte die Tante, sich zu Nechludoff wendend.
»Da fing dieser Kiriloff an, mich auszuschelten,« fuhr Lydia seufzend und aufgeregt fort. »Jeder ist überzeugt, Sie werden sprechen,« sagte er zu mir, »und das kann niemandem schaden, im Gegenteil. Wenn Sie sprechen, werden Sie Unschuldige befreien, die sonst Gefahr laufen, ungerecht zu leiden.« »Aber trotzdem habe ich nichts gesagt, und nun meinte er: »Nun gut, sagen Sie nichts, aber leugnen Sie wenigstens nicht, was ich sagen werde.« Dann fing er an, Namen zu nennen, und nannte auch den Namen Mitin. Und denken Sie, am nächsten Tage erfahre ich, daß Mitin verhaftet ist. Also ich habe ihn ans Messer geliefert, sagte ich mir, und dieser Gedanke quälte mich derart, daß ich geglaubt habe, ich müßte wahnsinnig werden.«
»Aber es ist doch bewiesen, daß du nichts mit seiner Verhaftung zu thun hast,« sagte die Tante.
»Ja, aber ich wußte es nicht und dachte immer dabei: Ich habe ihn
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