Auferstehung 3. Band (German Edition)
gänzlich, sondern auch ihre innere Stimmung. Sie wurde sofort ernst, schwermütig, mit sich unzufrieden, bekam düstere Ahnungen, und zwar alles ganz aufrichtig, ohne die geringste Heuchelei und ohne die geringste Anstrengung. Unwillkürlich versetzte sie sich, um Nechludoff zu gefallen, in eine ähnliche Stimmung, wie sie sie in diesem Augenblicke bei Nechludoff voraussetzte.
Sie fragte ihn nach dem Erfolge seiner Bemühungen. Er sagte ihr, wie seine Absichten beim Senat gescheitert waren und erwähnte bei dieser Gelegenheit seine Begegnung mit Selenin.
»Ach, welch eine Seele! Das ist wirklich ein Ritter ohne Furcht und Tadel! welch eine Seele!« riefen die beiden Damen und gebrauchten ein Epitheton, das man augenscheinlich auf den jungen Staatsanwalt anzuwenden pflegte.
»Er ist verheiratet; wie ist denn seine Frau?« fragte Nechludoff.
»Seine Frau? ... O, sie ist ... doch wir wollen niemand verdammen. Leider versteht sie ihren Mann nicht. Und er war auch für die Verwerfung der Berufung?« fuhr Mariette mit aufrichtigem Mitleid fort. »Aber, das ist ja entsetzlich! Wie ich diese Unglückliche beklage!«
Dabei stieß sie aus tiefstem Herzensgründe einen Seufzer aus.
Nechludoff wechselte, von ihrem Kummer bewegt, den Gesprächsstoff. Er erzählte Mariette von der Tschustoff, die durch seine Vermittelung, die Festung endlich verlassen hatte. Nachdem er ihr für ihre Verwendung gedankt, wollte er ihr sagen, wie entsetzlich der Gedanke sei, daß dieses junge Mädchen und ihre ganze Familie so lange gelitten, nur weil niemand für sie die Stimme erhoben, doch Mariette ließ ihn nicht fortfahren, sondern drückte selbst in ähnlichen Ausdrücken wie er ihre tiefe Entrüstung aus.
Die Gräfin Katharina Iwanowna sah sofort, daß Mariette mit ihrem Neffen kokettierte, was ihr übrigens großen Spaß machte.
»Weißt du was?« sagte sie zu Nechludoff. »Komm' morgen abend mit uns zu Aline. Kiesewetter wird dort sein. Und du, komm nur auch,« fügte sie, zu Mariette gewendet, hinzu.
»Denke dir, Kiesewetter hat dich bemerkt,« fuhr sie, sich wieder zu Nechludoff wendend, fort. »Er hat mir gesagt, alle Ideen, die du mir auseinandergesetzt und die ich ihm mitgeteilt, wären in seinen Augen ein vortreffliches Zeichen, und du würdest sicherlich bald zu Christus kommen. Ich rechne auf dich für morgen abend! Mariette, sag' ihm, daß du auch kommen wirst und auf ihn rechnest!«
»Erstens, teure Gräfin, habe ich kein Recht, Dimitri Iwanowitsch Ratschläge zu geben,« versetzte Mariette, indem sie Nechludoff einen Blick zuwarf, der besagte, sie wäre mit ihm hinsichtlich der evangelischen Manie der guten alten Dame vollkommen einer Meinung ... »Und dann, wissen Sie auch, liebe ich es nicht besonders ...«
»Ja, ich weiß, du bist stets anders als die andern und denkst über alles in deiner eignen Weise ...«
»Wie? in meiner eignen Weise? Aber ich habe ja den einfachsten und alltäglichsten Glauben, den Glauben der unwissendsten Bäuerin!« sagte sie lächelnd. »Vor allem aber muß ich morgen ins französische Theater gehen!«
»Ah! – kennst du übrigens die berühmte ... wie heißt sie doch? ...« fragte die Gräfin Nechludoff.
Mariette flüsterte ihr den Namen einer berühmten französischen Schauspielerin zu.
»Die mußt du auf alle Fälle sehen, Sie ist erstaunlich!«
»Was soll ich Ihrer Meinung zuerst sehen: die Schauspielerin oder den Propheten?« fragte Nechludoff lächelnd.
»Du bist boshaft, daß du meine Worte so auslegst!«
»Ich glaube, es ist besser, ich sehe zuerst den Propheten und dann die Schauspielerin, sonst könnte ich am Ende jedes Vertrauen auf die Prophezeiungen verlieren,« sagte Nechludoff.
»Lacht, spottet nur! Ihr werdet mir meine Ansicht nicht rauben. Kiesewetter ist eins, und das Theater ist etwas anderes. Man braucht nicht, um für sein Seelenheil zu sorgen, fortwährend düstre Gesichter zu schneiden und zu weinen. Den Glauben besitzen, das genügt; dann findet man am Leben nur noch mehr Gefallen.«
»Aber Tante, wissen Sie, daß Sie besser prophezeien, als der beste Prophet?«
»Und Sie?« fragte Mariette, »wissen Sie, was Sie thun sollten. Sie sollten mich heute abend in meiner Loge besuchen.«
»Ich fürchte, ich werde dazu keine Zeit haben.«
Die Unterhaltung wurde durch den Eintritt des Kammerdieners unterbrochen, der der Gräfin den Besuch des Sekretärs einer wohlthätigen Stiftung meldete, deren Präsidentin sie war.
»O, das ist der langweiligste Mensch von
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