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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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der Welt, ich werde ihn einen Augenblick im kleinen Salon empfangen und komme dann gleich wieder zu euch. Du, Mariette, gieß inzwischen Thee ein.« Darauf verließ die Gräfin mit ihrem männlichen Schritte den Salon. Mariette zog einen ihrer Handschuhe aus und zeigte eine ziemlich schmale, aber vollständig mit Ringen überladene Hand.
     
     
    »Darf ich Ihnen einschenken?« fragte sie Nechludoff und legte ihre Hand auf die Theekanne.
    Dabei hatte ihr Gesicht einen noch ernsteren und traurigeren Ausdruck angenommen.
    »Ich will Ihnen ein Geständnis machen,« sagte sie. »Nichts ist mir peinlicher, als der Gedanke, daß Personen, an deren Achtung mir gelegen ist, mich mit der Stellung verwechseln, in der zu leben ich gezwungen bin.«
    Es hätte wenig gefehlt, so hätte sie bei diesen Worten zu weinen angefangen, und obwohl ihre Worte, wenn man sie genau betrachtete, nur eine oberflächliche Bedeutung hatten, so erschienen sie Nechludoff doch tief aufrichtig und gütig, eine so große Macht hatte über ihn der Blick, der die Worte der hübschen, frischen und eleganten Frau begleitete.
    Ohne ihr zu antworten, sah Nechludoff sie an und konnte seine Augen nicht von ihrem Gesichte abwenden.
    »Sie glauben vielleicht, ich verstehe Sie nicht, und wüßte nicht, was in Ihnen vorgeht. Ja, natürlich weiß ich, was Ihnen passiert ist, jeder weiß es hier. Doch niemand versteht Sie; nur ich verstehe, billige und bewundere Sie.«
    »Es ist wirklich kein Grund, mich zu bewundern; noch habe ich nichts gethan.«
    »Gleichviel, ich verstehe Ihre Gefühle, und die dieser Person. ... Es ist gut, es ist gut, ich werde nicht mehr davon sprechen ...« unterbrach sie sich, denn sie glaubte in Nechludoffs Zügen eine leise Unzufriedenheit zu bemerken. »Und ich begreife auch,« fuhr sie fort, indem sie sich nur mit dem Gedanken beschäftigte, sich das Herz des jungen Mannes zu erobern, »daß Sie, als Sie den ganzen Greuel und alle Leiden des Gefängnislebens erkannt, das Verlangen empfunden haben, diesen Unglücklichen zu Hilfe zu kommen, diesen Opfern der Selbstsucht und des Egoismus der Menschen ... Ich begreife, daß Sie den Plan gefaßt, Ihr Leben für diese Unglücklichen hinzugeben. Auch ich hätte gern das meinige geopfert, doch jedem ist sein Schicksal bestimmt.«
    »Sind Sie denn mit Ihrem Schicksal nicht zufrieden?«
    »Ich?« rief sie, gleichsam verblüfft, wie man überhaupt solch eine Frage stellen konnte. »Ja, ich habe die Pflicht, damit zufrieden zu sein, und bin es auch. Doch stets lebt in mir ein nagender Wurm, und ich muß Anstrengungen machen, um ihn mit Erde zuzuschütten.«
    »Sie dürfen ihn nicht zuschütten, Sie müssen auf diese Stimme hören, die in Ihnen spricht,« sagte Nechludoff, vollständig unterjocht.
    Häufig erinnerte sich Nechludoff in der folgenden Zeit mit tiefer Scham dieser ganzen Unterredung; häufig litt er darunter, wenn er die Miene ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit wieder vor sich sah, mit der Mariette ihm zugehört, als er ihr dann seine Besuche im Gefängnis und seine Eindrücke im Verkehr mit den Bauern erzählt hatte.
    Als die Gräfin in den Salon zurückkehrte, unterhielten sich Mariette und Nechludoff wie intime Freunde, die nur sich inmitten einer fremden und feindseligen Menge verstehen. Sie unterhielten sich von der Ungerechtigkeit der Machthaber, von den Leiden der Schwachen und dem Elend des Volkes; doch in Wirklichkeit unterhielten sich ihre Augen trotz des Gemurmels der Worte von einem ganz anderen Gegenstand. »Wirst du mich lieben können?« fragten Mariettes Augen. »Ich werde es können,« erwiderten die Augen des jungen Mannes, und trotz der edlen Gedanken, die ihre Lippen aussprachen, zog sie der physische Wunsch zu einander.
    Bevor sie ging, sagte Mariette noch zu Nechludoff, wie sehr sie sich freuen würde, ihm bei seinen Plänen zu dienen, und bat ihn, sie auf jeden Fall am nächsten Abend in ihrer Loge im Theater aufzusuchen, indem sie ihm versicherte, sie hätte in »einer höchst wichtigen Angelegenheit« mit ihm zu sprechen.
    »Wer weiß, wann wir uns dann wiedersehen,« sagte sie seufzend, und richtete ihre Blicke auf ihre mit Ringen bedeckte Hand. »Es ist also abgemacht, Sie kommen, nicht wahr?«
    Nechludoff versprach zu kommen.
    In dieser Nacht blieb Nechludoff sehr lange in seinem Bett liegen, ohne einschlafen zu können. Jedesmal, wenn er sich an die Maslow, die Verwerfung ihrer Berufung, seinen Plan, ihr überallhin zu folgen, und die Art, wie er auf seine

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