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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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schreiben; doch bevor sie zu schreiben anfing, konnte sie sich nicht enthalten, neugierig die beiden kleinen Zimmer zu betrachten, die ihr Bruder bewohnte. Ueberall fand sie die peinliche Ordnung und Sauberkeit wieder, die sie einst an ihm gekannt, doch seine bescheidene Einrichtung setzte sie in Erstaunen und that ihr weh. Sie freute sich, als sie wenigstens auf dem Schreibtisch, auf einem Stoß von Papieren, den alten Marmorbriefbeschwerer mit dem bronzenen Hund wiedersah, und mit großem Vergnügen sah sie aus einem großen Bande mit grünem Deckel die beiden Enden eines elfenbeinernen Papiermessers hervorragen, das sie selbst ihrem Bruder einst geschenkt. Als sie ihre Betrachtung beendet, schrieb sie Nechludoff ein Billet, in welchem sie ihn bat, sie so schnell wie möglich zu besuchen, stieg dann wieder in den Wagen und ließ sich nach Hause fahren.
    Zweierlei interessierte Natalia Iwanowna bei ihrem Bruder ganz besonders. Sie wollte wissen, wie es eigentlich um seine Heirat mit Katuscha stand, von der jedermann selbst in der kleinen Stadt sprach, in der sie wohnte. Und sie wollte auch genaue Auskunft über die Abtretung der Güter an die Bauern haben, von der man vielleicht noch mehr sprach und die man gern als eine That von politischem und höchst gefährlichem Charakter hingestellt hätte.
    Die Heirat mit Katuscha war Natalia in gewisser Hinsicht nicht unangenehm. Ihr gefiel die Entschlossenheit, die ihr Bruder bei dieser Gelegenheit zeigte, denn sie fand darin ihn und sich wieder, wie sie während ihrer Jugend gewesen waren. Andererseits aber konnte sie nicht ohne Angst daran denken, daß ihr Bruder ein so abscheuliches Geschöpf heiraten sollte, und dieses zweite Gefühl hatte sogar über das erste die Oberhand gewonnen, so daß sie entschlossen war, ihr möglichstes zu thun, um ihren Bruder von seinem Heiratsplane abzubringen, wobei sie sich übrigens vollauf bewußt war, daß das sehr schwierig sein würde.
    Was die zweite Angelegenheit, die Abtretung der Güter an die Bauern betraf, so war ihr das im Grunde viel gleichgültiger; ihr Mann dagegen hatte sich darüber aufgeregt und verlangt, sie solle Nechludoff gegenüber darauf bestehen, er möge seinen Entschluß zurücknehmen. Ignaz Nikophorowitsch Ragojinski sagte, dieser Entschluß wäre der Gipfel des Ungesetzlichen, der Leichtfertigkeit und auch der Eitelkeit, denn er ließe sich nur durch eine wahre Manie, aus dem Rahmen herauszutreten und die Aufmerksamkeit der Welt zu erregen, erklären.
    »Was hat es denn für einen Sinn, den Bauern Aecker zu geben, wenn man sie zwingt, für sich selbst zu bezahlen?« sagte er. »Wenn Dimitri seine Ländereien durchaus loswerden wollte, so konnte er sie ja durch die Vermittlung der landwirtschaftlichen Bank verkaufen. Das hätte wenigstens einen Sinn gehabt. »Uebrigens deutet sein ganzes Benehmen auf einen anormalen Geisteszustand hin,« fügte der dicke Schlauberger hinzu, der sich schon in der Möglichkeit eines gerichtlichen Verbotes gefiel, das ihm die Vormundschaft über seinen Schwager in die Hände gespielt hätte.
     
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    Als Nechludoff das Billet seiner Schwester auf seinem Tische fand, begab er sich sofort zu ihr. Sie war allein in einem großen, als Salon dienenden Zimmer; ihr Mann hielt im Schlafzimmer Siesta. Natalia Iwanowna trug ein in der Taille eng geschnürtes schwarzes Seidenkleid mit einem roten Kragen am Halse; ihre hochgekämmten Haare waren nach der neuesten Mode frisiert. Man sah, sie that alles Mögliche, um sich zu verjüngen und so ihrem Manne zu gefallen.
    Als sie ihren Bruder erblickte, lief sie ihm mit schnellem Schritte, der ihren Seidenrock rauschen ließ, entgegen. Bruder und Schwester umarmten sich und sahen sich dann lächelnd in die Augen. Dieser geheimnisvolle Austausch der Blicke ließ die volle Wahrheit ihres seelischen Zustandes erkennen; doch schon im nächsten Augenblick folgte ihm ein Austausch von Worten, der schon nicht mehr ganz der Wahrheit entsprach.
    Nechludoff hatte seine Schwester seit dem Tode seiner Mutter nicht mehr wiedergesehen und sagte:
    »Du bist stärker und jünger geworden!«
    Nataliens Lippen zitterten vor Vergnügen.
    »Du bist aber magerer geworden!«
    »Ignaz Nikophorowitsch ist nicht da?«
    »Er ruht sich ein bißchen aus. Er hat diese Nacht, nicht geschlafen ... Du weißt doch, daß ich bei dir war?«
    »Ja, ich habe deinen Brief gefunden. Ich mußte unser Haus verlassen. Es war zu groß, ich fühlte mich dort zu einsam und langweilte

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