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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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darüber praktisch ausführen!«
    »Sie wollen von meiner persönlichen Angelegenheit sprechen?«
    »Ja, ich meine, daß wir alle, die wir eine gewisse Stellung einnehmen, uns in die Verantwortlichkeit fügen müssen, die sich aus dieser Stellung ergiebt. Wir müssen die Lebensbedingungen aufrecht erhalten, in denen wir geboren sind, die wir von unserem Eltern empfangen haben und die wir unseren Nachkommen überliefern müssen ...« »Ich halte es für meine Pflicht ...«
    »Gestatten Sie!« sagte Ignaz Nikophorowitsch, ohne sich unterbrechen zu lassen. »Weder mein Interesse, noch das meiner Kinder haben mit dem, was ich Ihnen sage, etwas zu thun. Das Schicksal meiner Kinder ist gesichert, und was mich betrifft, so hoffe ich, mir meinen Lebensunterhalt, so lange ich lebe, verdienen zu können. Deshalb ersuche ich Sie ohne eigennützigen Hintergedanken, in rein theoretischer Weise, aus reiner Ueberzeugung, noch einmal nachzudenken; lesen Sie zum Beispiel ...«
    »Bitte, lassen Sie mich mich selbst um meine Angelegenheiten kümmern und sorgen Sie sich nicht darum, was ich lesen muß,« rief Nechludoff, ebenfalls blaß werdend. Er fühlte, daß seine Hände kalt wurden und er nicht mehr Herr seiner selbst war. Er schwieg und begann, seine Tasse Thee zu trinken. »Aber wo sind denn deine Kinder?« fragte Nechludoff seine Schwester, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte.
    Natalie versetzte, die Kinder wären bei ihrer Großmutter geblieben, und hocherfreut, daß der Streit Nechludoffs mit ihrem Manne zu Ende war, begann sie zu erzählen, wie ihre Kinder auf der Reise ganz so mit ihren Puppen spielten, wie Nechludoff in seiner Kindheit mit seinem Neger und der großen Puppe gespielt, die er die »Französin« nannte.
    »Du erinnerst dich noch daran?« sagte Nechludoff lächelnd.
    »Ja, und denke dir, sie spielen ganz ebenso!«
    Der peinliche Eindruck war verschwunden. Beruhigt lenkte Natalie, die vor ihrem Manne nicht von Dingen sprechen wollte, die nur sie und ihr Bruder allein verstanden, die Unterhaltung auf das große Ereignis von St. Petersburg, das Duell, in welchem der junge Kamensky getötet worden war.
    Ignaz Nikophorowitsch mißbilligte das Vorurteil, das das Duell nicht als gewöhnlichen Mord betrachtete, auf das lebhafteste. Diese Mißbilligung genügte, um Nechludoff von neuem zu empören, und der Streit begann wieder auf diesem andern Gebiet. Ignaz Nikophorowitsch fühlte, daß Nechludoff ihn verachtete und wollte ihm die Ungerechtigkeit dieser Verachtung beweisen, Nechludoff seinerseits war empört, daß sein Schwager sich in seine Angelegenheiten mischte, wobei er übrigens im Grunde seines Herzens anerkannte, daß er als naher Verwandter das Recht dazu hatte. Vor allem aber empörte ihn die Sicherheit und Selbstgefälligkeit, mit der sein Schwager Grundsätze als vernünftig hinstellte, die ihm, Nechludoff, jetzt als höchst albern erschienen.
    »Was sollte man denn aber sonst thun?« fragte er.
    »Man sollte den Gegner Kamenskys wie einen gewöhnlichen Mörder zur Zwangsarbeit verurteilen.«
    »Und was für einen Vorteil hätten Sie darin gefunden?«
    »Das wäre gerecht gewesen!«
    »Als wenn die gerichtliche Organisation von heut' mit der Justiz etwas zu thun hätte!« sagte Nechludoff.
    »Und welchen andern Zweck hat sie Ihrer Meinung nach?«
    »Sie hat den einzigen Zweck, einen einer gewissen sozialen Klasse günstigen Zustand aufrecht zu erhalten.«
    »Das ist mir neu!« versetzte Ignaz Nikophorowitsch lächelnd. »Das ist nicht die Rolle, die man der Justiz gewöhnlich zuschreibt!«
    »In der Theorie, nein; doch in der Praxis ist es so; davon habe ich mich selbst überzeugen können. Unsere Gerichte dienen nur dazu, die Gesellschaft in ihrem heutigen Zustande zu erhalten; und daher kommt es, daß sie alle diejenigen verfolgen und bestrafen, die unter dem gewöhnlichen Niveau und ebenso die, die darüber stehen und die Gesellschaft zu ihrem Niveau zu erheben versuchen.«
    »Ich kann Ihre Behauptung nicht dulden, daß die Richter Menschen verurteilen, die über dem gewöhnlichen Niveau stehen. Die Menschen, die wir verurteilen, sind meistens der Abschaum der Gesellschaft!«
    »Und ich kenne Sträflinge, die unendlich höher stehen, als ihre Richter!«
    Doch Ignaz Nikophorowitsch, der nicht gewöhnt war, sich das Wort abschneiden zu lassen, sprach weiter, ohne auf Nechludoff zu hören, was diesen im höchsten Grade empörte.
    »Und ich kann auch,« fuhr er fort, »Ihre Behauptung nicht dulden, die

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