Auferstehung 3. Band (German Edition)
mich. Alle Möbel, alles, was sich im Hause befindet, ist für mich jetzt unnütz; nimm es alles für dich und mach' damit, was du willst!«
»Ja, Agrippina Petrowna hat mir schon davon erzählt. Ich danke dir herzlich, aber ...«
In diesem Augenblick brachte der Oberkellner auf einem silbernen Tablett das Theeservice. Nechludoff und seine Schwester schwiegen, bis er fort war, dann fuhr Natalia fort, indem sie plötzlich die Augen auf den Bruder richtete:
»Nun, Dimitri, ich weiß alles!«
Nechludoff antwortete nichts.
»Aber kannst du denn wirklich die Hoffnung hegen, dieses Geschöpf, nach dem Leben, das sie geführt, zum Guten zurückbringen zu können?« fragte ihn seine Schwester.
Nechludoff sagte noch immer nichts, sondern dachte, wie er ihr sein Verhalten erklären konnte, ohne sie zu erzürnen. Er fühlte sich freudiger als je bewegt, und inniger als je empfand er den Wunsch, mit allen Menschen in Frieden zu leben.
»Ich habe sie nicht zum Guten zurückzuführen, sondern muß selbst dahin zurückkehren,« sagte er schließlich.
Natalia Iwanowna stieß einen Seufzer aus.
»Aber dazu giebt es doch andere Mittel, als sie zu heiraten!«
»Gewiß, aber ich glaube, das ist das beste; ganz abgesehen davon, daß es mir eine Welt erschließt, in der ich mich nützlich machen kann.«
»Ich bin überzeugt, diese Heirat wird dein Unglück ausmachen,« sagte Natalia.
»Ich habe mich nicht mehr um mein Gluck zu kümmern!«
»Ja, ich verstehe! Aber sie kann eine solche Heirat, wenn sie Herz hat, nicht glücklich machen; sie kann sie nicht wünschen!«
»Sie wünscht sie auch nicht!«
»Aber schließlich ... das Leben ...«
»Nun?«
»Das Leben verlangt etwas anderes!«
»Das Leben verlangt nichts, außer daß wir unsere Pflicht thun!« versetzte Nechludoff und betrachtete das schöne Gesicht seiner Schwester, in dem die Jahre schon Runzeln um Mund und Augen zogen.
»Ich verstehe dich nicht,« sagte sie.
»Die Aermste! Wie sie sich verändert hat,« dachte Nechludoff, und tausend Jugenderinnerungen kamen ihm in den Sinn, während ein heißer Strom von Zärtlichkeit sein Herz überflutete.
In diesem Augenblick sah er aus dem Nebenzimmer seinen Schwager Ignaz Nikophorowitsch treten, der wie stets den Kopf hoch und die Brust herausgestreckt trug. Der dicke Mann lächelte wohlgefällig, und Nechludoff sah gleichzeitig die Gläser seines Lorgnons, seinen kahlen Schädel und seinen schwarzen Bart leuchten. »Wie freue ich mich, Sie zu sehen!« rief er in affektiertem Tone. Zuerst hatte er seinen Schwager zu duzen versucht, doch bei dem geringen Erfolge seines Versuches hatte er sich genötigt gesehen, zum »Sie« zurückzukehren.
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand, und Ignaz Nikophorowitsch ließ sich sanft in einen Sessel fallen.
»Ich unterbreche Ihre Unterhaltung nicht?«
»Durchaus nicht; ich verhehle niemandem, was ich sage oder thue!«
Als Nechludoff dieses gewöhnliche Gesicht, diese behaarten Hände wiedergesehen und diesen katzenfreundlichen und protektorhaften Tonfall gehört, war sein Gefühl allgemeiner Freundlichkeit mit einem Schlage geschwunden.
»Ja, wir sprechen von seinem Projekt,« sagte Natalie. »Willst du Thee?«
»Gewiß! Mit Vergnügen! Um welches Projekt handelt es sich?«
»Von meinem Projekt, in Begleitung eines zur Zwangsarbeit verurteilten Weibes, dem gegenüber ich mich schuldig fühle, nach Sibirien zu gehen,« erklärte Nechludoff.
»Ich habe sogar gehört, daß Sie noch nicht zufrieden sind, sie zu begleiten, sondern sich noch viel mehr für sie zu thun entschlossen haben.«
»Ganz recht! Sie zu heiraten, wenn sie darauf nur eingeht!«
»Wirklich? Nun, ich wäre Ihnen sehr verpflichtet, wenn Sie mir die Gründe Ihres Verhaltens ein wenig erklären wollten. Ich muß Ihnen gestehen, ich verstehe sie nicht.«
»Die Gründe sind, daß dieses Weib ... ihr erster Schritt auf dem Wege des Lasters ...«
Nechludoff fand nicht den richtigen Ausdruck und wurde dadurch nur noch mehr gereizt.
»Der Grund meines Verhaltens,« sagte er endlich, »ist der, daß ich der Schuldige bin, während sie verurteilt worden ist!«
»O, wenn man sie verurteilt hat, ist sie gewiß auch nicht unschuldig!«
»Verzeihung, sie ist vollständig unschuldig,« versetzte Nechludoff und erzählte in ganz unnötiger Erregung die ganze Prozeßgeschichte der Maslow.
»Ja, jetzt sehe ich, wie die Sache zusammenhängt! Das kommt alles von der Nachlässigkeit des Präsidenten und der
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