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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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das Krachen eines fernen Donners. Unaufhörlich kamen die Wolken näher, und große, vom Winde gejagte Regentropfen fielen auf Nechludoffs Jackett. Er ging nach der andern Seite der Plattform, atmete mit vollen Lungen den frischen Wind und den wohlthuenden Duft des nach Regen dürstenden Erdreichs ein und betrachtete die Gärten, die Wälder, die gelben Roggenfelder, die noch grünen Haferfelder und die schwarzen Flecke der Kartoffelstauden. Alles hatte sich plötzlich wie mit einer Lackschicht überzogen, das Grün war grüner, das Gelb gelber, das Schwarz schwärzer geworden.
    »Immer mehr! Immer mehr!« rief Nechludoff, der unwillkürlich bei der Berührung des Regens die Fröhlichkeit der Felder und Wälder teilte.
    Und thatsächlich ward der Regen stärker; doch er dauerte nur kurze Zeit. Das düstere Gewölk, das sich zum Teil zerstreut, zog sich nach einer andern Stelle, und auf den nassen Erdboden fielen nur noch kleine, spärliche, weiche Tropfen, die Sonne erschien wieder, alles verklärte sich von neuem und am Horizont zeigte sich aus der westlichen Seite ein kleiner Regenbogen, in dem die violetten Farben vorherrschten.
    »Woran dachte ich doch eben?« sagte sich Nechludoff, als alle diese Veränderungen vorüber waren und der Zug in einen tiefen Tunnel eingedrungen war, von dem aus man die Felder nicht mehr sehen konnte. »Ach ja, ich dachte daran, wie dieser Direktor, dieser Führer des Gefangenentrupps, alle diese Beamten, die doch meistens gute und harmlose Menschen waren, sich in böse Menschen umgewandelt haben!«
    Und Nechludoff erinnerte sich, mit welcher Gleichgültigkeit Maslinnikoff die Erzählung der Vorgänge im Gefängnis angehört hatte; er dachte an die Strenge des Direktors, an die Härte des Führers des Gefangenentrupps, der ein Weib in Geburtswehen hilflos leiden ließ.
    »Alle diese Menschen sind für das Gefühl der Menschlichkeit offenbar unzugänglich, wie die Steine dieses Tunnels gegen den Regen gefeit sind,« dachte er und betrachtete die Steinreihen, an denen das Wasser bis zu den Waggonrädern herüberspritzte. Vielleicht ist es nötig, diese Tunnels zu graben und sie mit Steinen zu bekleiden, doch es thut einem weh, diese Erde des Regens beraubt zu sehen, auf den sie wartet; diese Erde, die doch auch Getreide, Gras, Sträucher und Bäume hätte hervorbringen können. Und ebenso ist es mit den Menschen! Alles Uebel kommt daher, daß die Menschen glauben, es existieren gewisse Situationen, in denen man lieblos gegen die Menschen handeln kann, während solche Situationen nicht existieren. Gegen tote Gegenstände kann man lieblos handeln; man kann lieblos das Holz spalten, das Eisen schmieden und Ziegel brennen; doch in den Beziehungen eines Menschen zum andern ist die Liebe ebenso unbedingt nötig, als es zum Beispiel die Klugheit im Verkehr des Menschen mit den Bienen ist. Die Natur will es so; es ist eine Notwendigkeit in der Ordnung der Dinge. Wollte man die Klugheit beiseite lassen, wenn man mit den Bienen zu thun hat, so würde man sich und den Bienen schaden. Und ebenso darf man die Liebe nicht außer acht lassen, wenn man mit den Menschen zu thun hat. Und das ist nur gerecht; denn die gegenseitige Liebe zu den Menschen ist das einzig mögliche Fundament des menschlichen Lebens. Gewiß kann sich ein Mensch nicht zur Liebe zwingen, wie er sich zur Arbeit zwingen kann; doch daraus ergiebt sich nicht, daß jemand lieblos gegen die Menschen handeln darf, besonders wenn er andere Menschen braucht. Ein Mensch, der keine Liebe zu den anderen Menschen fühlt, ein solcher Mensch beschäftigt sich nur mit sich, mit den leblosen Dingen, mit allem, was ihm beliebt, nur nicht mit den Menschen. Ebenso wie man nicht ohne Schaden und nur dann mit Nutzen essen kann, wenn man das Bedürfnis zu essen empfindet, ebenso kann man gegen die Menschen nur dann ohne Schaden und mit Nutzen handeln, wenn man die Menschen liebt. Erlaube dir nur, gegen die Menschen zu handeln, ohne sie zu lieben, wie du es gestern bei deinem Schwager gethan, und es giebt keine Grenze für das Böse, das deine Härte vernichten wird.«
    »Ja, ja, so ist's! Das ist wahr!« wiederholte sich Nechludoff und freute sich, nach der schrecklichen Hitze, die ihn bedrückte, gleichzeitig ein bißchen Erfrischung gefunden und in der Lösung des Moralproblems, das ihn beschäftigte, einen Schritt weiter gethan zu haben.

Elftes Kapitel
    Der Waggon, in dem sich Nechludoff befand, war zu drei Vierteln mit Reisenden angefüllt. Es

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