Auferstehung 4. Band (German Edition)
Markel. Dieser war mit fünfzehn Jahren in eine Fabrik eingetreten, und im Alter von fünfzehn Jahren hatte er zu rauchen und zu trinken angefangen, um das Gefühl der Demütigung, das in ihm lebte, zu ersticken. Dieses Gefühl war an einem Weihnachtsabend in ihm erwacht, als die Frau des Fabrikbesitzers ihn zu einem Feste eingeladen, das sie für die Kinder der Arbeiter veranstaltet hatte. Markel und seine Kameraden hatten als Geschenk, der eine eine Pfeife, der andere einen Apfel, der dritte eine vergoldete Nuß bekommen, während man den Kindern des Fabrikbesitzers wunderbares Spielzeug geschenkt hatte, das für jeden wenigstens fünfzig Rubel gekostet hatte.
Trotzdem hatte Markel noch zwanzig Jahre lang das gewöhnliche Leben des Arbeiters weitergeführt. Er zählte fünfunddreißig Jahre, als er mit einer revolutionären Studentin Bekanntschaft angeknüpft, die Arbeiterin geworden war, um Propaganda zu treiben. Diese junge Person hatte ihm Broschüren und Bücher geliehen, mit ihm zu diskutieren angefangen und ihm über seine Lage, die Ursachen dieser Lage und die Mittel, sie zu verbessern, die Augen geöffnet.
Als Markel die Möglichkeit gesehen hatte, sich und die andern von der grausamen Bedrückung, unter der er seit seiner Kindheit litt, zu befreien, war ihm die Ungerechtigkeit dieser Bedrückung noch klarer vor Augen getreten, und seinem Wunsch nach Befreiung hatte sich ein tiefer Wunsch nach Rache gegen diejenigen, die ihn ungerechterweise unterdrückt hatten, zugesellt.
Die Möglichkeit der Befreiung für sich selbst und die andern käme von der Wissenschaft – so hatte man ihm versichert, und Markel hatte sich mit Leidenschaft darauf geworfen, Wissen zu erwerben. Hatte ihm die Wissenschaft nicht schon die Ungerechtigkeit der Lage, in der er sich befand, vor Augen geführt? Offenbar konnte nur sie dazu beitragen dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten. Und außerdem hatte die Wissenschaft in seinen Augen den Vorteil, ihn über die andern Menschen zu erheben, was stets sein geheimer Ehrgeiz gewesen war. Deshalb hatte er zu trinken und zu rauchen aufgehört, um alle seine freien Augenblicke dem Studium zu widmen.
Die Revolutionärin fuhr fort, mit ihm zu korrespondieren, und bewunderte mehr und mehr den erstaunlichen Eifer, mit dem er sich die verschiedenartigsten Kenntnisse zu eigen machte. Thatsächlich hatte Markel in kaum zwei Jahren Geometrie, Algebra, Geschichte gelernt, und alle möglichen kritischen und philosophischen Werke gelesen und vor allem die ganze moderne socialistische Litteratur in sich aufgenommen.
Dann war die Revolutionärin verhaftet worden; man hatte Briefe von Markel bei ihr gefunden, und dieser war ebenfalls verhaftet worden. In dem Gouvernement Wologda, wohin man ihn verschickt, hatte er die Bekanntschaft Nowodworoffs gemacht, hatte wieder eine Menge Bücher gelesen, eine Menge Dinge gelernt, die er nach und nach vergessen, und war in seinem Socialismus immer eifriger geworden. Als man ihm nach einigen Monaten erlaubte, in seine Heimat zurückzukehren, hatte er sich einen Streik in den Kopf gesetzt, der zum Brande der Fabrik und zur Ermordung des Direktors geführt hatte. Von neuem hatte man ihn verhaftet, und jetzt zog er, für den Rest seines Lebens zur Verschickung verurteilt, nach Sibirien. In Sachen der Religion zeigte er sich ebenso radikal, wie in Sachen der Wirtschaftspolitik. Da er von der Falschheit der Glaubensanschauungen, in denen er erzogen war, überzeugt war und sich davon freigemacht hatte, zuerst mit Furcht, dann mit Begeisterung, so empfand er gleichsam ein Verlangen, sich an allen denen zu rächen, die ihn im Irrtum erhalten hatten. Er sprach stets mit Haß von den Popen und verspottete die religiösen Dogmen auf das bitterste.
Er hatte die Gewohnheiten eines Asketen; und wie alle, die seit ihrer Kindheit zur Arbeit herangezogen werden, war er bei körperlichen Anstrengungen gewandt und unermüdlich. Noch im Gegensatz zu Nabatoff verachtete er die Anstrengungen und die Handarbeit unter allen Formen. Im Rasthause wie im Gefängnisse suchte er sich möglichst viele freie Zeit zu schaffen, um sich weiter zu unterrichten, was ihm stets mehr als die einzige ehrenhafte und nützliche Beschäftigung erschien. Er war im Begriff, in diesem Augenblick den ersten Band des Marxschen »Kapitals« zu studieren; er versteckte das Buch in seiner Reisetasche und bewachte es wie den allerkostbarsten Schatz.
Gegen seine Genossen zeigte er sich gleichgültig und
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