Auferstehung 4. Band (German Edition)
intelligenteste und beste aller Männer gewesen, so hätte sie ihn nicht geliebt und sich auch nicht mit ihm verheiratet. Doch da sie ihn geliebt und sich mit ihm verheiratet hatte, so hätte sie es für ungeheuerlich gehalten, das Leben anders aufzufassen, als er. Zuerst hatte sie das Leben so aufgefaßt, daß man alles dem Studium opfern müsse; darum hatte sie das Studium auch als ideale Beschäftigung betrachtet und angefangen, Medizin zu studieren. Dann war ihr Mann Revolutionär geworden, und sie war auch Revolutionärin geworden. Sie hatte es ebenso gut wie jeder ihrer Gefährten verstanden, zu erklären, wie ungerecht das augenblickliche sociale System wäre, und wie jedermann die Pflicht hätte, dagegen anzukämpfen, um es durch ein neues System zu ersetzen, in welchem die menschliche Persönlichkeit sich frei entwickeln könnte, und so weiter und so weiter. Sie glaubte von ganzem Herzen, daß das ihre eigenen Gefühle und Gedanken waren; aber in Wirklichkeit glaubte sie, nur das, was ihr Mann denke, wäre die Wahrheit; und ihr einziger Traum und ihr einziges Vergnügen war es, sich vollständig mit der Seele ihres Mannes zu vereinigen.
Infolge neuer Unruhen, an denen sie teilgenommen, hatte man sie von ihrem Manne und ihrem Kinde getrennt; und diese Trennung war ihr sehr schmerzlich gewesen. Doch sie ertrug sie mit Festigkeit, denn sie wußte, daß sie sie für ihren Mann und das Werk ertrug, das gewiß aller ihrer Opfer würdig war, da sich ja auch ihr Mann dafür opferte. Ihre Gedanken weilten stets bei ihrem Manne, und ebenso wie sie niemand vor ihm geliebt, so konnte sie auch von nun an niemand anders als ihn lieben. Doch die reine und aufrichtige Zuneigung Nabatoffs rührte sie und that ihr wohl. Er, ein durch und durch moralischer Mensch, der gewöhnt war, seine Wünsche zu besiegen, bemühte sich, Emilja wie eine Schwester zu behandeln; und doch zeigte sich in seinen Beziehungen zu ihr auf Augenblicke ein Gefühl, das mehr bedeutete, als die Zuneigung eines Bruders zur Schwester. Dieses Etwas beunruhigte sie, bereitete ihnen aber im geheimen Vergnügen.
So war ein jeder in der Gruppe verliebt, bis auf Marie Pawlowna und den Arbeiter Markel.
Elftes Kapitel
Nechludoff wartete auf den Augenblick, wo er nach dem Abendessen sich allein mit Katuscha unterhalten konnte, wie er das immer that, wenn er den Abend im Rastgebäude zubrachte. Jetzt saß er neben Krülzoff und unterhielt sich mit ihm.
Er erzählte ihm unter andern, wie ihn der Sträfling Makar angesprochen, und alles, was er von der Geschichte dieses Unglücklichen wußte. Krülzoff hörte ihm aufmerksam zu und sah ihn starr mit seinen großen, glänzenden Augen an.
»Ja, so ist's,« sagte er plötzlich, »ich denke oft daran, wie seltsam doch eigentlich unsere Lage ist. Wir reisen mit diesen Leuten nach Sibirien; was sage ich, eben wegen dieser Leute gehen wir dahin, und doch kennen wir sie nicht nur nicht, nein, wir machen auch nicht einmal den Versuch, sie kennen zu lernen. Sie aber verabscheuen uns obendrein und betrachten uns als ihre Feinde. Ist das nicht entsetzlich?«
»Daran ist nichts Entsetzliches,« erklärte Nowodworoff, der an Krülzoffs Bett herangetreten war. »Die Massen sind stets grob und ungebildet und haben nur vor der Macht Respekt,« fuhr er mit seiner klangvollen Stimme fort. »Die Macht aber hat heute die Regierung in Händen; darum respektieren diese Leute die Regierung und verabscheuen uns. Wenn wir morgen die Macht ergreifen, so werden sie uns respektieren.«
In demselben Augenblicke hörte man in dem Nebensaal, wie gegen die Wand geschlagen wurde, man vernahm Kettengerassel, Geschrei und Geheul. Man schlug jemand, der um Hilfe schrie.
»Hören Sie diese wilden Bestien? Welche Beziehung soll wohl zwischen ihnen und uns existieren?« fragte Nowodworoff in ruhigem Tone.
»Wilde Bestien, sagst du? – Höre nur, was mir Nechludoff eben von einem dieser Menschen erzählt hat.«
Und nun wiederholte Krülzoff in erregtem Tone die Worte Nechludoffs und berichtete, wie der Sträfling Makar sein Leben aufs Spiel gesetzt, um einen seiner Gefährten zu retten.
»Ist das das Werk einer wilden Bestie?« fragte er.
»Sentimentalität!« entgegnete Nowodworoff mit seinem ironischen Lächeln. – »Als wenn wir die Gedanken dieser Leute und die Motive ihrer Handlungen begreifen könnten! Was du für Heroismus hältst, ist vielleicht ganz einfach Haß gegen einen andern Sträfling.«
»Und du, du willst nie etwas Gutes bei
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