Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
doch von nun an hatte die Polizei ein Auge auf ihn. Kaum war er indessen in Freiheit gesetzt, als er in ein anderes Gouvernement gezogen war, wo er sich in einem Dorfe zum Schulmeister ernennen lassen und sein Apostolat von neuem begonnen hatte. Er wurde von neuem verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt; doch diese Strafe hatte ihn in seiner Ueberzeugung nur bestärkt.
    Als er seine zweite Strafe verbüßt, war er in das Gouvernement Perm verschickt worden. Hier war er sieben Monate geblieben und war dann, weil er sich geweigert, dem neuen Zaren den Eid der Treue zu leisten, von neuem ins Gefängnis geworfen und zur Deportation nach dem Gouvernement Irkutsk, tief nach Sibirien, verurteilt worden. So hatte er die Hälfte seines Lebens in den Gefängnissen oder in der Verbannung zugebracht. Doch alle diese Prüfungen hatten ihm, anstatt ihn zu verbittern, mehr Lebenslust und Energie verliehen. Er war ein Mann von höchster Widerstandskraft, körperlich und moralisch durch und durch gesund. Wo er sich auch befand, stets war er gleich thätig, kraftvoll und heiter. Nie bereute er das Vergangene, nie suchte er die Zukunft vorherzusehen; alle Kräfte seines Verstandes, seiner Geschicklichkeit, seines politischen Sinnes wandte er im augenblicklichen Zeitpunkt an. Wenn er in Freiheit war, bemühte er sich, die Sache zu verfolgen, die er sich zum Ziele gesetzt, das heißt, die Bildung und Aufklärung der Bauern. Wurde ihm die Freiheit geraubt, so bemühte er sich, die Lebensbedingungen in den Grenzen der Möglichkeit, sowohl für sich wie für seine Umgebung zu verbessern.
    Für andere zu leben war bei ihm übrigens eine natürliche Notwendigkeit. Da er für sich selbst kein Bedürfnis hatte, und das Essen ebenso gut wie den Schlaf entbehren konnte, so verwandte er instinktiv seine kräftige Bauernthätigkeit zum Wohle der andern. In allem war er ein richtiger Bauer geblieben; gewandt mit seinen Händen, leichtlebig, unermüdlich, rechtschaffen ohne Anstrengung, aufmerksam und bedacht auf die Gefühle und Gedanken eines jeden.
    Seine alte Mutter, eine ungebildete und abergläubische Bäuerin, lebte noch; und jedesmal, wenn Nabatoff in Freiheit gesetzt wurde, besuchte er sie. Er half ihr in allen ihren häuslichen Sorgen, ging mit seinen früheren Mitschülern im Dorfe in die Schenke, begleitete sie auf die Felder, rauchte mit ihnen Cigaretten und schlug sich mit ihnen herum, um ihnen zu beweisen, welchen Schaden ihnen ihre Dummheit und ihre Schwäche verursachte.
    Während er von ganzer Seele eine Revolution zum Nutzen des Volkes erträumte, wollte er doch nicht, daß diese Revolution das Volk in etwas anderes verwandele, als was es war, noch daß es seine Lebensbedingungen allzu stark verändere; würde sie Bauern zu Herren des Bodens machen und sie von den Gutsbesitzern und Beamten befreien, Die Revolution sollte – nach seiner Ansicht – und darin war er ganz anderer Ansicht als Nowodworoff – nicht vollständig mit der Vergangenheit brechen und die Sitten und Gewohnheiten von Grund auf erneuern, sondern nur den verehrungswürdigen und kostbaren Schatz der nationalen Tradition zur besseren Verteilung bringen.
    Er war sogar in seinem Verhalten der Religion gegenüber Bauer. Nie kümmerte er sich um das metaphysische Problem, die ersten Grundlagen, das künftige Leben, Er wiederholte gern, Gott wäre für ihn, wie für Laplace, eine Hypothese, deren Notwendigkeit er nicht einsehe. Es kümmerte ihn wenig, wie das Weltall begonnen hatte; und der Darwinismus, den die meisten seiner Gefährten sehr ernsthaft auffaßten, war in seinen Augen nur eine ebenso müßige Spielerei wie die Erschaffung der Welt in sechs Tagen.
    Was das künftige Leben betraf, so dachte er nie daran; doch im Grunde seines Herzens glaubte er, er trage einen Glauben in sich, den er von seinen Vätern ererbt, einen allen Menschen, die in der Berührung mit der Erde leben, gemeinsamen Glauben. Ebenso glaubte er, daß in der Tier- und Pflanzenwelt nichts umkommt und alles sich umwandelt, ebenso daß der Mensch nicht umkommt; er wechsle nur das Leben. Er glaubte das, und deshalb betrachtete er den Tod ohne Furcht oder Zorn. Doch er dachte nicht gern über diese Glaubensanschauung nach, und noch weniger sprach er gern darüber. Nur die Arbeiter waren ihm lieb, und stets beschäftigte er sich mit praktischen Fragen und bemühte sich, seine Gefährten dazu ebenfalls zu veranlassen.
     
----
     
    Ganz anders geartet war sein Gefährte, der Arbeiter

Weitere Kostenlose Bücher