Auferstehung 4. Band (German Edition)
sich der neue Offizier zugänglicher gezeigt.«
»Zugänglich! Sie können gerade mitreden! – Fragen Sie nur Mascha, was er heut' morgen gethan hat!«
Ohne sich von ihrem am andern Ende des Saales belegenen Platze zu erheben, erzählte Maria Pawlowna Nechludoff die Scene, die sich wegen des kleinen Mädchens abgespielt hatte.
»Ich bin der Ansicht, wir haben alle die Pflicht, eine allgemeine Beschwerde zu unterzeichnen,« rief Wera Efremowna mit ihrer ruhigen Stimme, indem sie ihren erschrockenen Blick von einem ihrer Gefährten zum andern schweifen ließ. –
»Wladimir Simonson hat diesem rohen Patron den Standpunkt klar gemacht; doch ich meine, das genügt nicht!«
»Wozu sollen wir uns beschweren?« sagte Krülzoff mit ärgerlicher Grimasse. Man merkte, daß ihn der Mangel an Einfachheit bei Wera Bogoduschoffska schon lange ärgerte und ihm tatsächlich einen nervösen Schmerz verursachte.
»Sie suchen Katja?« fuhr er, sich nach Nechludoff umwendend, fort. »Sie arbeitet immer! Sie hat schon unsere Sachen gereinigt und bürstet jetzt die Mäntel der Frauen aus. Nur von den Flöhen wird sie uns wohl nie befreien; die schmutzigen Tiere fressen uns auf; es ist ein wahrer Jammer! Und was macht denn Mascha da drüben in ihrem Winkel?« fragte er und versuchte, sich aufzurichten, um nach Maria Pawlowna hinüberzusehen.
»Sie kämmt eben ihr Töchterchen!« erwiderte Emilja Rantzeff.
»Wenn sie uns nur nicht die Läuse zukommen läßt, die sie ihr abfängt,« versetzte Krülzoff.
»Nein, nein, haben Sie keine Angst, ich mache die Sache gewissenhaft! Uebrigens ist sie jetzt auch ganz sauber,« sagte Maria Pawlowna. »Na, Emilja, nehmen Sie sie zu sich herüber; ich werde jetzt gehen und Katja helfen.«
Die Rantzeff nahm das Kind, setzte es mit mütterlicher Sorgsamkeit auf ihren Schoß und gab ihm ein Stück Zucker.
Maria Pawlowna ging hinaus; und in demselben Augenblick traten die beiden Verurteilten, die das Abendessen holen gegangen waren, in das Zimmer.
Neuntes Kapitel
Einer der beiden Gefangenen, die eben eingetreten waren, war ein noch junger, kleiner und trockener Mann mit kurzem Pelz und hohen Stiefeln. Er ging mit leichtem und raschem Schritte, trug in jeder Hand eine große Kanne mit kochendem Wasser und hielt unter jedem Arm ein in eine Serviette gewickeltes Brot.
»Ah, da ist ja auch wieder unser Fürst,« sagte er und setzte die Theekannen zu den Tassen, die die Rantzeff sorgfältig ausgewaschen hatte. »Wir haben ganz großartige Sachen gekauft,« fuhr er fort, nachdem er seinen Pelz ausgezogen und über die Köpfe der andern hinweg in einen Winkel des Zimmers geworfen hatte, in welchem sein Bett stand, »Markel bringt euch Milch und Eier mit. Ein wahres Festmahl, was! Und Emilja wird uns das alles servieren und es mit ihrer ästhetischen Sauberkeit noch verschönen,« fügte er mit einem an die Rantzeff gerichteten Lächeln hinzu.
Die ganze äußere Erscheinung dieses Mannes, seine Bewegungen, der Ton seiner Stimme, sein Blick, alles drückte bei ihm ein Gemisch von Mut und Fröhlichkeit aus. Dagegen hatte sein Gefährte ein düsteres und trauriges Aussehen. Auch er war ein Mann von kleiner Gestalt, doch knochig, mit einem grauen Gesicht und vorstehenden Kiefern. Er trug einen alten wattierten Mantel und Galoschen über den Stiefeln. Als er den Korb und den Topf abgesetzt, den er in der Hand hielt, begrüßte er Nechludoff sehr kühl mit einem Kopfnicken, indem er seine großen grünen Augen auf ihn richtete.
Diese beiden politischen Gefangenen stammten aus dem Volke. Der erste, ein gewisser Nabatoff, war ein Bauer; der andere, der Markel hieß, ein Fabrikarbeiter. Doch während ersterer seit fünf Jahren Revolutionär geworden war, war es Nabatoff schon fast seit seiner Kindheit. In der Schule seines Dorfes hatte er solche Anlagen gezeigt, daß man ihn aufs Gymnasium geschickt hatte; und auch hier hatte er wieder die ersten Plätze eingenommen. Er hatte es mit einer goldenen Medaille verlassen; doch anstatt dann die Universität zu besuchen, hatte er sich entschlossen, zum Volke zurückzukehren, denn er hielt es für seine Pflicht, das, was er gelernt, mit seinen Brüdern zu teilen. Er hatte sich in seinem Dorfe zum Schreiber ernennen lassen, hatte den Bauern allerlei Bücher geliehen oder ihnen vorgelesen, eine Art gegenseitiger Unterstützungskasse unter ihnen gegründet, und war bald verhaftet worden. Man hatte ihn, nachdem er acht Monate im Gefängnis gesessen, wieder freigelassen,
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