Auferstehung 4. Band (German Edition)
und Pharisäer; man sperrt mich in Irrenhäuser. Doch man kann mir nichts thun, weil ich frei bin! – ›Wie heißest du?‹ fragt man mich. Man bildet sich ein, ich führe einen Namen, aber ich führe keinen; ich habe auf alles verzichtet. Ich habe weder Namen, noch Heimat, noch Vaterland; ich habe nichts, ich habe nur mich! – Wie man mich nennt? Einen Menschen! – ›Und wie alt bist du?‹ – Ich antworte: ich zähle mein Alter nicht, und außerdem habe ich kein Alter, weil der Geist, der in mir lebt, stets existiert hat und stets existieren wird. – ›Und dein Vater,‹ sagt man mir, ›und deine Mutter?‹ – Nein, nein, sage ich ihnen, bei mir giebt es weder Vater noch Mutter, nur Gott und die Erde. Gott ist mein Vater; die Erde ist meine Mutter. – ›Und der Zar,‹ hat man mich gefragt, ›erkennst du den nicht an?‹ – Warum sollte ich ihn nicht anerkennen? Er herrscht auf seiner Seite und ich auf der meinen. – ›Ach,‹ hat man mir gesagt, ›es ist unmöglich, mit dir zu sprechen!‹ Aber, antworte ich ihnen, ich verlange ja gar nicht, daß ihr mit mir sprecht. Dann fangen sie an, mich zu quälen.«
»Aber wo gehst du jetzt hin?« fragte Nechludoff.
»Ich gehe, wohin Gott mich führt. Ich arbeite; und wenn ich nichts zu arbeiten finde, so bettle ich!« versetzte der Greis und ließ gleichzeitig einen Blick des Triumphes umherschweifen.
Schon legte die Fährte am anderen Ufer an. Nechludoff zog sein Portemonnaie und bot dem Greise ein Silberstückchen, doch dieser weigerte sich, es zu nehmen.
»So etwas nehme ich nicht! Ich nehme nur Brot!« sagte er.
»Entschuldige!«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du hast mich nicht beleidigt,« sagte der Greis und hob den Reisesack auf, den er zu seinen Füßen niedergelegt.
In der Menge auf der Fährte wurde es von neuem lebendig. Man zog die Wagen heran und schirrte die Pferde an.
»Sie sind übrigens recht gütig, Barin,« sagte der Kutscher zu Nechludoff, als sie die Fähre verließen, »daß Sie sich mit solchen Leuten unterhalten. Wenn man auf alle diese Vagabunden hören wollte!«
Neunzehntes Kapitel
Als der Wagen am Ufer hielt, wandte sich der Kutscher wieder zu Nechludoff und sagte:
»Nach welchem Gasthofe wollen Sie?«
»Ich weiß nicht. Welches ist das beste Hotel?«
»Das beste ist ›Sibirien‹. Aber bei Dukoff wohnt man auch gut.«
»Fahre mich, wohin du willst!«
Der Kutscher peitschte auf die Pferde los, und der Wagen fuhr durch die Straßen der Stadt. Diese Stadt war allen Städten gleich; man sah darin dieselben Häuser mit den flachen Dächern, dieselbe große Kirche, dieselben Läden, die in der eleganten Straße zu Magazinen wurden, dieselben Passanten und dieselben Polizisten. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die meisten Häuser aus Holz gebaut und die Straßen nicht gepflastert waren.
In der belebtesten aller dieser Straßen ließ der Kutscher seine Troika vor der Freitreppe eines Hotels halten. Doch das Hotel war überfüllt, und man mußte sich wieder auf den Weg machen, um ein anderes zu suchen.
Endlich fand Nechludoff ein Unterkommen. Zum erstenmal seit zwei Monaten fand er die altgewohnte Sauberkeit und Behaglichkeit wieder. Nicht, daß das Zimmer, das er in Dukoffs Gasthof mietete, besonders luxuriös eingerichtet gewesen wäre, aber es war wenigstens wohnlich; und sein Anblick verursachte ihm eine wahre Erleichterung, als er es mit den Gasthofszimmern verglich, die er in den vorigen Nächten bewohnt hatte. Bevor er an etwas anderes dachte, hatte er Eile, sich von den Läusen zu befreien, die ihn während seiner ganzen Reise von Etappe zu Etappe mit außergewöhnlicher Hartnäckigkeit verfolgt hatten. Daher ließ er sich schnell, nachdem er seine Sachen untergebracht, in eine Badeanstalt fahren, wo er über eine Stunde brauchte, um sich zu reinigen. Als er dann ins Hotel zurückgekehrt war, zog er sein Stadtkostüm wieder an, ein gestärktes Oberhemd, eine graue Hose, einen Gehrock und Ueberzieher, um sich zum Gouverneur zu begeben.
Ein mit einem kräftigen, kleinen kirgisischen Pferde bespannter Wagen führte ihn in schnellem Trabe in den Hof eines schönen, großen Hauses, vor dem zwei Schildwachen und Polizisten standen. Das Haus war mit einem Garten umgeben, in welchem das dunkle Grün der Fichten die kahlen Stämme der Birken und Pappeln durchbrach.
Der Gouverneur war leidend und empfing nicht. Doch Nechludoff bat den Diener, ihm seine Karte zu bringen, und der Diener kehrte mit
Weitere Kostenlose Bücher