Auferstehung 4. Band (German Edition)
einem liebenswürdigen Lächeln zurück, um ihm mitzuteilen, seine Exzellenz bäte ihn, einzutreten.
Das Vorzimmer, der Diener, die Treppe, der Salon mit dem gebohnerten Parkettboden, das alles glich den Häusern in St. Petersburg, doch es war größer und nicht so sauber. Nechludoff brauchte übrigens in dem ungeheuren Salon nicht lange zu warten; kaum hatte er sich gesetzt, als man ihn bat, zu dem Gouverneur hineinzukommen.
Dieser Beamte, der einen gelben Schlafrock trug und eine Cigarette in der Hand hielt, war eben im Begriff, aus einem silberbeschlagenen Glase Thee zu trinken. Es war ein dicker, kahlköpfiger, vollblütiger Mann mit roter Nase und hervortretenden Adern auf der Stirn.
»Entschuldigen Sie, Fürst, daß ich Sie im Schlafrock empfange; aber es ist wohl besser, Sie in diesem Kostüm zu empfangen, als gar nicht,« sagte er lächelnd, während er sich in seinen großen Fauteuil zurücklehnte. »Ich bin leidend und muß das Zimmer hüten. Was verschafft uns das Vergnügen, Sie in unserem fernen Reiche zu sehen?«
»Ich begleite einen Zug Gefangener, in dem sich eine mir sehr nahestehende Person befindet,« versetzte Nechludoff; »und gerade auf diese Person bezieht sich eins der beiden Gesuche, die ich Ew. Exzellenz unterbreiten möchte.«
Der Gouverneur streckte die Beine aus, trank einen Schluck Thee und strich die Asche seiner Cigarette in einem Malachit-Aschbecher ab; dann richtete er seine kleinen, feuchten und glänzenden Augen auf Nechludoff und begann, ihm mit der größten Aufmerksamkeit zuzuhören. Nur zweimal unterbrach er ihn, um ihm ein Glas Thee anzubieten und ihn zum Rauchen aufzufordern.
Dieser Gouverneur gehörte der Art jener intelligenten Beamten an, die von Natur aus geneigt sind, ein bischen Menschlichkeit und Toleranz in ihren Beruf hinüberzunehmen. Doch da die Natur ihm auch einen großen Fonds Güte und Weisheit verliehen, und er bald gemerkt hatte, wie nutzlos seine Bemühungen in diesem Sinne geblieben waren, so hatte er, um dem Bewußtsein des inneren Widerspruches, in dem er sich befand, zu entgehen, immer mehr die Gewohnheit angenommen, Schnaps zu trinken. Dies Gewohnheit war bei ihm so stark geworden, daß er in fünfunddreißigjähriger Dienstzeit im Heere und in der Verwaltung das geworden war, was die Aerzte einen »Alkoholiker« nennen. Er war mit Branntwein vollständig imprägniert, so daß ein kleines Gläschen Alkohol oder Wein hinreichte, ihn in den Zustand des Rausches zu versehen. Uebrigens konnte er das Trinken auch nicht mehr lassen, und so war er jeden Tag seines Lebens, sobald der Abend nahte, vollständig berauscht.
Indessen hatte er sich dieser Situation so gut angepaßt, das man ihn nie schwanken sah, und ihn auch nie zusammenhangloses Zeug reden hörte; auch hätte das infolge der hohen Stellung, die er einnahm, niemand bemerken dürfen, selbst wenn er so etwas gesprochen hätte. Nur morgens, zu der Stunde, in der sich Nechludoff ihm vorgestellt, nur zu dieser Stunde glich er einem vernünftigen Menschen und war im Stande, das richtig zu begreifen, was man mit ihm sprach.
Die vorgesetzten Behörden, von denen er abhängig war, kannten seine unmäßigen Gewohnheiten ganz genau. Doch sie wußten auch, daß er intelligenter, als die Mehrzahl seiner Kollegen, und gebildeter war, obwohl seine Bildung mit dem Tage aufgehört hatte, an dem die Trunksucht über ihn gekommen war. Man wußte, daß er kühn, gewandt war, und zu repräsentieren verstand; man wußte, daß er selbst im betrunkenen Zustande fähig war, seine Würde zu wahren, und aus Grund alles dessen hatte man ihn von Grad zu Grad bis zum Posten des Gouverneurs, den er jetzt inne hatte, avancieren lassen.
Zwanzigstes Kapitel
Nechludoff erzählte dem Gouverneur, wie die Gefangene, für die er sich interessierte, ungerecht verurteilt worden wäre, und wie sie vor ihrer Abreise nach Sibirien ein an den Zaren gerichtetes Gnadengesuch eingereicht hätte.
»Sehr gut!« sagte der Gouverneur, nachdem er aufmerksam zugehört. – »Und weiter?«
»Man hat mir versprochen, das Gnadengesuch sollte so schnell wie möglich geprüft werden, und die kaiserliche Entscheidung würde noch im Laufe dieses Monats hier eintreffen...«
Immer die Augen auf Nechludoff heftend, streckte der Gouverneur seine dicke Hand mit den kurzen Fingern nach dem Tische aus, drückte auf eine Klingel und fing wieder an, stillschweigend zuzuhören.
»Ich muß also Ew. Excellenz, wenn es möglich ist, bitten, diese Gefangene
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