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Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Mannes gelegt, der ein blaues Tuch um den Hals trug. Dieses blaue Tuch fiel Nechludoff auf, denn er glaubte, es schon irgendwo gesehen zu haben.
    Er trat näher und betrachtete den Leichnam genauer. Ein schwarzer, etwas krauser Knebelbart, eine gerade und kräftige Nase, eine große, weiße Stirn, gelockte Haare, die oben auf dem Kopfe dünner wurden, Nechludoff erkannte alle diesen vertrauten Züge, doch er wollte noch immer nicht seinen Augen trauen. Noch am vorigen Tage hatte er dasselbe Gesicht von Leidenschaft belebt und von Schmerz verzerrt gesehen, jetzt sah er es unbeweglich und ruhig, von einer Schönheit umstrahlt, die ihm Furcht einflößte. Ja, es war Krülzoff, oder wenigstens die Hülle, die sein körperliches Leben zurückgelassen!
    »Warum hat er gelitten? Warum hat er gelebt? Hat er jetzt endlich die Wahrheit erfahren?« fragte sich Nechludoff, während er den Leichnam betrachtete. Und er gab sich sofort selbst die Antwort, es gäbe keine Wahrheit, es gäbe nichts, nichts, als den Tod. Von ganzer Seele beneidete er Krülzoff, der ausgelitten hatte.
    Ohne auch nur daran zu denken, von dem Engländer Abschied zu nehmen, der die Totenkammer mit ganz eigentümlichem Interesse betrachtete, ließ sich, Nechludoff aus dein Gefängnis führen, um in Ruhe, in seinem Zimmer über alles, was sich an diesem Abend ereignet hatte, nachzudenken.

Sechsundzwanzigstes Kapitel
    Als Nechludoff in sein Zimmer getreten war, begann er in fieberhafter Erregung auf- und ab zu gehen. Er hatte die Empfindung, alle seine Beziehungen mit Katuscha wären abgebrochen, für immer abgebrochen. Auf ewig mußte er darauf verzichten, Katuscha nützlich zu sein, und dieser Gedanke erfüllte ihn mit Scham und Traurigkeit. Doch er hatte auch die Empfindung, dieser Gedanke dürfe ihn jetzt nicht mehr beschäftigen, er hätte jetzt eine andere Angelegenheit zu regeln, die nicht nur nicht zu Ende war, sondern sich ihm mit gebieterischer Kraft aufdrängte.
    Er fühlte sich etwas entsetzlich Schlechtem gegenüber, das zu zerstören er die Pflicht hatte, ohne daß er doch wußte, wie er es zerstören konnte. Es war jenes Schlechte, das ihn einst selbst zu Grunde gerichtet, das Katuscha zu Grunde gerichtet, und jetzt eben den lieben, wunderbaren Krülzoff, der da drüben mit seinem blauen Tuche schlief.
    Und Nechludoff sah wieder die Hunderte von Menschen vor sich, die in verpesteter Lust, von gleichgültigen Gouverneuren, Staatsanwälten, Gefängnisdirektoren eingepfercht wurden. Er sah wieder die zornigen Blicke des kleinen Greises vor sich, der den »Dienern des Antichrist« trotzte. Er sah in der Totenkammer das schöne Gesicht Krülzoffs vor sich. Das alles, das ganze Leben, das ihn umgab, wirkte auf ihn wie ein böser Traum, und er fragte sich, ob er, Nechludoff, toll wäre oder die, die sich für klug hielten und ein solches Leben duldeten.
    Nachdem er lange hin- und hergewandert, warf er sich auf den Divan, und mechanisch schlug er eins der kleinen Evangelien des Engländers auf, das ihm dieser gegeben, und das er auf den Tisch gelegt, als er die Taschen seines Pelzes ausgeleert.
    »Es giebt Leute, die behaupten, man könne darin eine Antwort auf alles finden,« dachte er, als er das kleine Buch aufs Geratewohl aufschlug. Er las und hatte gerade ein Kapitel des Evangelium Matthäi, das achtzehnte Kapitel aufgeschlagen.
    1. Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?«
    2. Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie.
    3. Und sprach: »Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
    4. Wer nun sich selbst erniedrigt, wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.«
    »Ja, so ist's,« sagte sich Nechludoff, indem er sich, erinnerte, wie er selbst Frieden und Lebensfreude nur in dem Maße genossen, als er sich selbst erniedrigt hatte und einem Kinde gleich geworden war.
    Und er las weiter:
    5. Und wer Ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.
    6. Wer aber ärgert dieser Geringsten Einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist.«
    Nechludoff hörte auf zu lesen. »Was mag dieses: »Wer mich aufnimmt!« und dieses: »In meinem Namen!« wohl heißen?« fragte er sich, denn er fühlte, daß diese Worte für ihn keine Bedeutung hatten. »Und was haben dieser

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