Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auferstehung der Toten

Auferstehung der Toten

Titel: Auferstehung der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
müde geworden, und wie die Tunnel gekommen sind, ist er auf der Rückbank hinten eingeschlafen.
    «Er ist wie ein Kind», sagt die Deutsche.
    «Haben Sie Kinder?» fragt der Detektiv.
    Aber im Auto vor ihnen, das muß ein Verrückter gewesen sein. Mitten im Tunnel schert der aus, überfährt die doppelte Sperrlinie und überholt einen LKW. Das ist der Tunnel gewesen, in dem es erst vor einem halben Jahr fünf Tote gegeben hat, weil einer die gleiche Idee gehabt hat. Diesmal ist nichts passiert, nur der Detektiv hat vergessen, daß er gerade eine Frage gestellt hat.
    «Kommen Sie eigentlich aus Holland?»
    Die Handlose hat nämlich so ein eigenartiges Hochdeutsch gehabt. Umständlich hat es geklungen oder irgendwie, sagen wir, wie wenn im Fernsehen eine Oper ist. Nicht nur gestochenes Hochdeutsch, sondern praktisch zum Quadrat. So wie Hochdeutsch für uns klingt, so klingt vielleicht der Handlosen ihre Sprache für einen Hochdeutschen. Irgendwie gestelzt, so wie die Leute klingen, die eine Fremdsprache perfekt beherrschen. Und daß es nicht seine Muttersprache ist, merkst du nur daran, weil er nie einen Fehler macht. Jetzt hat der Brenner sich gedacht, vielleicht ist sie Holländerin.
    «Ich komme aus Hamburg.»
    Und das ist natürlich auch sehr fremd für unsere Ohren, das Hamburgische. Oder, sagen wir, oben, Schleswig-Holstein, mit dem, wo man den in der Badewanne gefunden hat.
    «Aber ich wohne schon über ein Jahr in Zell», sagt sie.
    «Richtig wohnen?» sagt der Brenner.
    «Kennen Sie den Preußenstadl?»
    Der Brenner hat den Preußenstadl natürlich gekannt. Das ist so ein riesiges Appartementhaus im Almhüttenstil, vierstöckig, mit 52 Wohnungen, sündteuer, und die gehören fast alle Deutschen, die haben sich da so Ferienappartements gekauft.
    «Ich bin eine Dauerfremde.»
    «So ähnlich wie ich.»
    «Ja und wie die alten Amerikaner. Die waren auch häufig in Zell.»
    «Haben Sie die denn gekannt?»
    «Bei einem Amerikaner weiß man doch nie genau, ob man ihn kennt.»
    «So gut haben Sie sie gekannt?»
    «Da ich passabel Englisch spreche. Und dann hatten wir dieses gemeinsame Interesse.»
    «Das Eisschießen?»
    «Nein, das Eisschießen hat sie überhaupt nicht interessiert.»
    Die Deutsche hat jetzt ihre ganze Konzentration gebraucht, um zwei Sattelschlepper in einer Autobahnkurve zu überholen. Dann hat sie gesagt:
    «Das Heimattheater.»
    «Aber die haben doch kein Wort Deutsch verstanden!»
    «Ich verstehe ja den Dialekt auch nicht immer. Aber trotzdem. Wir haben uns sogar beim Vormachen kennengelernt.»
    «Vormachen? Das versteh jetzt ich nicht.»
    «Sie waren noch nie beim Vormachen? Das müssen Sie unbedingt! Ein hübscher Brauch. Bei der nächsten Hochzeit müssen Sie mit mir zum Vormachen gehen. Sonst kamen die alten Amerikaner ja selten vom Vergolder-Schloß in die Stadt herunter. Immerhin achtzig Jahre alt. Aber beim Vormachen waren sie immer dabei, wenn sie überhaupt in Zell waren. Sie liebten das Vormachen.»
    «Aber was das ist, dieses Vormachen, wollen Sie mir nicht erklären.»
    «Ach, das Vormachen, das kann man nicht erklären», sagt die Deutsche und starrt konzentriert auf die Straße.
    Dem Brenner ist es jetzt egal gewesen, ob sie ihm erklärt, was das Vormachen ist, oder nicht. Hauptsache, sie fährt nicht auf den Wohnwagen vor ihnen auf, das ist jetzt seine einzige Sorge gewesen.
    «Die Brautleute kommen aus der Kirche, und am Kirchplatz spielen ihnen die Einheimischen kleine Theaterszenen vor. Anekdoten aus der Vergangenheit des Bräutigams und der Braut. Wie sich das Paar kennengelernt hat. Sehr komisch und oft ganz schön – nun, sagen wir: direkt. Ich lache jedesmal Tränen beim Vormachen.»
    «Und die Amerikaner haben sich auch amüsiert.»
    «Was heißt amüsiert. Jedesmal erzählten sie mir vom Vormachen bei der Hochzeit ihrer Tochter mit dem Vergolder Antretter vor weiß Gott wie vielen Jahren. Sie wissen ja, alte Leute erzählen einem immer dasselbe. Der Vergolder sei damals ernstlich beleidigt gewesen.»
    «Ein Bräutigam versteht keinen Spaß.»
    «Wie gesagt, es geht oft reichlich direkt zur Sache. Und anscheinend hat man auf das Verhältnis des Vergolders mit einer Krankenschwester angespielt beim Vormachen.»
    «Und das hat die Amerikaner amüsiert, daß ihr Schwiegersohn es nebenbei mit einer Schwester hat?»
    «Nicht nebenbei. Früher mal. Jugendsünde. Aber die Alten hat einfach der ganze Zirkus amüsiert.»
    «Das ist was für die Amerikaner. Immer mit ihren fünf

Weitere Kostenlose Bücher