Auferstehung der Toten
Scheidungen, da könnten die oft vormachen.»
«Nein, nein, Herr Detektiv, Vorurteile! Die hatten doch eben ihren sechzigsten Hochzeitstag!»
«Was Sie alles wissen.»
Dem Brenner wäre es jetzt fast lieber gewesen, wenn der Andi wieder aufgewacht wäre. Weil die Deutsche hat eine schlechte Gewohnheit gehabt. Sagen wir, rein autofahrerisch gesehen. Sie hat einem beim Reden immer ganz genau in die Augen geschaut. Jetzt ist einem das normalerweise schon nicht unbedingt angenehm. Aber in dem Fall. Sie ist ja mit 130 über die Autobahn gezischt. Und dann: also immerhin ohne Hände, auch wenn sie gut gefahren ist, da gibt es nichts, aber doch nur ihre zwei Armstümpfe am Lenkrad. Und dreht beim Reden immer ihre Augen von der Straße weg und schaut den Brenner mit ihren Riesenaugen an. Weil die sind von ihrer Weitsichtigenbrille so unnatürlich vergrößert worden.
«Es ist sehr schön hier», sagt sie.
«Hier im Tunnel?» sagt der Brenner.
Er hat sich gedacht, mach ich einen Scherz und bring ich sie vielleicht dadurch wieder dazu, daß sie auf die Straße schaut, wenigstens im Tunnel, weil das ist einer mit Gegenverkehr gewesen. Aber nichts da, sie hat es nicht als Scherz verstanden, und der Brenner natürlich gleich mit dem Vorurteil: die Deutschen und keinen Humor. Sie schaut ihn mit ihren Polypenaugen an und sagt:
«Nein, hier in Zell.»
«Gefällt es Ihnen nicht in Hamburg?»
«Doch. Sehr schön. Sehr schön. Aber dort muß alles sehr schnell gehen. Hier darf alles ein bisserl langsamer gehen.»
Da sind natürlich bei uns alle Leute gleich. Wir mögen es nicht, wenn ein Deutscher unseren Dialekt nachmacht. Dem Brenner ist es da nicht anders gegangen. Und dann noch das mit dem «langsam», praktisch, also es stimmt natürlich, aber wir hören es nicht gern. Jetzt hat es die Handlose aber gar nicht so allgemein gemeint, weil die sagt jetzt:
«Sogar das Morden darf hier langsam gehen. In Hamburg wird abgeknallt. Und hier wird tiefgefroren.»
Und dann lacht sie auch noch. Der Brenner hat sich gedacht: Das versteh jetzt wieder ich nicht, was da lustig sein soll. Aber er hat nichts gesagt.
Wie sie dann dagewesen sind, haben sie zuerst den Krankenhausportier nicht gleich gefunden. Und der hat dann wieder die zuständige Stationsschwester nicht gefunden. Also nicht, daß du mich falsch verstehst, alles hier war sauber und gut organisiert. Vielleicht ein bißchen langsam. Aber natürlich in erster Linie die Patienten, praktisch verlangsamt, also Medikamente, sind mit diesem stieren Blick durch den Park spaziert. Weil die haben da einen wunderschönen Park, und es ist jetzt erst drei Uhr gewesen, herrlicher Herbsttag, warm, 27 Grad, und da haben sich die Patienten natürlich auch gedacht: Nütze ich das noch einmal aus.
Aber der Lorenz ist nicht dagewesen. Überhaupt nicht. Er ist gerade vor einer Viertelstunde abgeholt worden. Von seinem Onkel, sagt die Stationsschwester.
Jetzt ist natürlich der Andi ganz blaß geworden. Und die Deutsche hat auch ein bißchen komisch geschaut. Weil der Lorenz hat ja nur einen Onkel. Und das ist der Vergolder Antretter. Und der ist noch auf der Asphalteisbahn gewesen, wie die drei losgefahren sind.
6
Wie der Brenner zwei Tage später die Schmittenstraße hinuntergeht, ist schon der 9. September gewesen. Es ist immer noch nicht kühler geworden, und der Altweibersommer hat Zell in ein Licht getaucht, daß du geglaubt hast, die Berge stehen direkt vor deiner Haustür.
Und dazu ist immer diese Musik gelaufen, also nicht in Wirklichkeit. Dem Brenner sein Kopf, der hat irgendwie diesen Tick gehabt. Plötzlich ist irgendein Schlager aus seinem Gedächtnis aufgetaucht, und er ist ihn nicht mehr losgeworden. Aber nicht, weil er das Lied wo gehört hat, und deshalb. Sondern auf einmal ist es dagewesen, aus dem Nichts heraus. Und jetzt paß auf. Wenn der Brenner sich dann überlegt hat, was für einen Text dieses Lied eigentlich hat, obwohl er ja innerlich nur die Melodie gesummt hat, dann hat der Text immer genau gepaßt. Genau zu der Situation, in der er gerade gesteckt ist.
Und wie er jetzt in die Post hineingeht, summt er schon wieder dieses französische Chanson vor sich hin, das ihn schon den ganzen gestrigen Tag geplagt hat. Aber nicht, daß du glaubst, der hat jetzt endlich seinen Bericht für das Detektivbüro Meierling abgeschickt. Weil der hat den Bericht immer noch nicht geschrieben gehabt.
Das Kuvert, das er abgegeben hat, ist nur eine private Angelegenheit gewesen,
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