Auferstehung der Toten
wegen seiner Versicherung, weil das ist ja jetzt alles viel komplizierter gewesen, seit er nicht mehr bei der Polizei angestellt ist. Hinter dem Schalter ist die Bacher Leni gesessen, und dem Brenner ist aufgefallen, daß ihre modische Kleidung nur noch mehr unterstreicht, was für ein bäuerliches Gesicht die Leni hat.
Sie hat ihn wissend angelächelt, weil sie geglaubt hat, es ist der Bericht, und er hat seinen Bericht ja Woche für Woche bei ihr abgegeben. Und dem Brenner ist sogar vorgekommen, daß sie enttäuscht schaut, wie sie die Adresse liest, also daß das Kuvert nur für die Gebietskrankenkasse gewesen ist.
Es ist aber gleich viel Porto gewesen wie sonst immer, wenn der Brenner seinen Bericht geschickt hat, und die Leni hat ihm gewohnheitsmäßig eine Quittung dafür gegeben. Der Brenner hat die Quittung eingesteckt, aber er hat schon gewußt, daß er sie genauso verlieren wird wie all die anderen Quittungen. Aber es sind ja immer nur sieben Schilling fünfzig gewesen.
Das Lied ist ihm immer noch umgegangen, wie er beim Hinausgehen einen Zehner in den Brieflosautomaten gesteckt hat. Und dann hat er noch einmal kehrtmachen müssen, weil er einen Gewinn gehabt hat, zehn Schilling, und die hat er sich gleich am Geldschalter geholt.
Vor ihm ist so eine geschminkte Geschäftsfrau mit einem ganzen Stapel von Zahlscheinen gestanden. Jetzt hat er ein paar Minuten auf seinen Zehner warten müssen, und da ist ihm wieder die Melodie durch den Kopf gegangen, also ein richtiger Ohrwurm, obwohl es von der Melodie her überhaupt kein Ohrwurm gewesen ist.
Dann hat er den gewonnenen Zehner wieder in den Brieflosautomaten geworfen, und dann ist er aber froh gewesen, daß er dieses Mal nichts gewonnen hat, weil so hat er wenigstens nicht noch einmal zurückmüssen. Und eigentlich hätte er schon längst in der Bahnhofstraße sein sollen, im Waffengeschäft Perterer, weil gestern hat er sich nicht entscheiden können.
Aber heute muß ich mich entscheiden, hat sich der Brenner gedacht, und das ist seine alte Krankheit gewesen. Daß er sich nicht entscheiden kann. Und vielleicht hat er deshalb so lange mit dem Brieflos herumgetan, bevor er sich endlich auf den Weg zum Zeller Waffengeschäft gemacht hat.
Und natürlich gleich wieder die Melodie. Das erste Mal ist es ihm so gegangen, da ist der Brenner erst sechzehn gewesen, und seine erste Freundin ist ihm damals davongelaufen. Da ist ihm tagelang eine Melodie durch den Kopf gegangen, so ein amerikanisches Kirchenlied ist das gewesen, und er hat das Lied schon regelrecht gehaßt. Also am liebsten wie einen Pickel, daß du den ausdrückst. Aber er ist es einfach nicht losgeworden. Das ist dieses, kennst du vielleicht eh: «Nobody knows the trouble», also quasi Selbstmitleid gewesen.
Aber bitte, das ist wenigstens ein bekanntes Lied. Aber dieses Mal ist es ein Lied gewesen, das hat der Brenner überhaupt nur ein einziges Mal in seinem ganzen Leben gehört. Die Französischlehrerin hat es ihnen einmal in der Schule vorgespielt, weil die hat immer in der Stunde vor Weihnachten so einen uralten Plattenspieler in die Klasse geschleppt, und da hat sie ihnen Chansons vorgespielt. Georges Moustaki, das hat der Brenner heute noch gewußt. Der hat gesungen:
«Rien n’a change, mais pourtant tout est different.»
Und wirklich hat sich eigentlich nichts verändert. Der Brenner hat nichts Neues gewußt, sagen wir: daß man es in einer zehnzeiligen Zusammenfassung als Neuigkeit hervorheben kann. Und doch. Alles ist jetzt auf einmal anders gewesen.
Daß der Vergolder seinen Neffen Lorenz abholt, das hat einfach nicht hineinwollen in den Schädel vom Brenner. Wo doch jeder in Zell weiß, daß der Lorenz seinen Onkel regelrecht haßt. Das hat ja dem Vergolder sein Alibi so wasserdicht gemacht, daß es vom Lorenz gekommen ist. Und jetzt sieht der Vergolder beim Eisschießen, daß der Brenner mit der Deutschen den Lorenz abholen fährt, sagt keinen Mucks und rast selber hinaus, damit sie ihn nicht mehr erwischen.
«Rien n’a change, mais pourtant tout est different», hat es im Brenner seinem Kopf wieder und wieder gesungen, wie er mehr oder weniger ferngesteuert zum Waffengeschäft hinausspaziert ist. Weil das mit der Pistole ist natürlich ein Problem gewesen. Wenn du es zwanzig Jahre gewöhnt bist. Seit der Brenner von der Polizei weg ist, ist natürlich auch seine Pistole weg. Und was soll das für ein Detektiv sein ohne Pistole.
Jetzt kennst du vielleicht den Zeller
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