Aufgedirndlt
aufmerksam zugehört. Jetzt sagte sie, jedes Wort fein abwägend: »Wenn man verliebt ist, dann ist das erst so, als hätte einen jemand gepiekst. Dann fühlt man so was wie Fieber oder man meint, dass man einen Schwarm Schmetterlinge verschluckt hat. Wenn man lange verliebt ist, dann fühlt sich das an wie die warme Sonne an einem Sommerabend, weißt du, wenn sie nicht mehr so heiß brennt, aber dafür viel tiefer in die Haut eindringt. Wenn dieses Gefühl nie aufhört, egal, ob die Sonne scheint oder nicht, dann ist man verliebt.«
Lisa war fasziniert. Mit verträumtem Gesichtsausdruck sagte sie: »Ich glaube, ich war noch nie verliebt.«
Anne Loop erreichte den gelben Zweckbau, in dem ihre Polizeidienststelle untergebracht war, erst einige Minuten nach offiziellem Dienstbeginn. Umso überraschter war sie, in dem Büro, das sie sich mit Sepp Kastner teilte, keinen Sepp Kastner vorzufinden. Sie hängte ihre Uniformjacke an den dafür vorgesehenen Haken und warf einen Blick auf den Wachdienstplan für die Familie des Emirs. Aber Kastner war nicht für die Vormittagsschicht eingetragen. Also ging Anne hinüber zu Nonnenmachers Zimmer. Die Tür war angelehnt, und Anne trat ohne zu klopfen ein. Die Luft war stickig. Nonnenmacher saß auf seinem Platz und Sepp Kastner auf dem für Besucher vorgesehenen Stuhl. Anne fühlte sich bei ihrem Anblick an den bayerischen Himmel vor einem sommerlichen Hagelschauer erinnert.
»Ja was ist denn hier los?«, fragte Anne überrascht.
Keiner der beiden antwortete. Dafür rumorte Nonnenmachers Magen. Der Dienststellenleiter riss die Schublade seines Schreibtischs auf, holte eine hellblaue Plastikbox hervor, wuchtete den Deckel herunter und schaufelte sich mit einem Löffel den restlichen Milchreis von gestern in den bartumwachsenen Mund, die Streichwurstbrezen lag ja zu Hause. Anne warf Kastner einen fragenden Blick zu, was dieser mit den leise gesprochenen Worten »Hast’ nicht die Zeitung gelesen?« quittierte.
»Nein, wieso? Ist was passiert?«
»Das kann man so sagen«, erwiderte Nonnenmacher mit vollem Mund, sodass die Reiskörner nur so durch die Atmosphäre flogen. »Früher hat man gesagt, ›die Türken kommen‹. Die sind jetzt aber schon alle da, sogar einen Dönerstand haben mir schon. Es ist zum Kotzen.«
»Du, der Döner schmeckt fei gar nicht schlecht, also wenn’st du den vom Lindenplatz meinst«, warf Kastner ein.
»Ach was!«, schimpfte Nonnenmacher. »Da ess’ ich ja lieber einen vegetarischen Wurschtsalat.« Das »v« von »vegetarisch« sprach er wie ein »f«. Doch seine Tirade war noch nicht zu Ende: »Es ist wirklich ein Kreuz mit den Islamisten. Wo das noch hinführt: Allein in München gibt’s vierzig Moscheen. Sogar in Penzberg gibt’s eine, und das, obwohl Penzberg schon im dreizehnten Jahrhundert zum Kloster Benediktbeuern gehört hat.« Er verharrte kurz und donnerte dann los: »Das ist ein katholisches Kloster! – Und ein Türke ist Vorsitzender von einer der drei größten deutschen Parteien …«
»Stimmt ja gar nicht«, unterbrach Anne Loop ihren Chef. »Der Cem ist Deutscher.«
»So so«, tönte der Inspektionschef. »Schaut aus wie ein Türke, heißt wie ein Türke, will aber ein Deutscher sein. Da stimmt doch was nicht!«
»Da hat die Anne fei recht«, mischte sich Kastner in das Gespräch ein. »Der Cem ist wirklich Deutscher. Nur seine Eltern, die sind Türken. Aber da kann der Cem ja nix dafür.«
»Aber irgendwas wird es schon zum bedeuten haben, wenn so was in Deutschland geht, mein’ jedenfalls ich. Kennt’s ihr einen Deutschen, der wo in der Türkei Vorsitzender von einer großen Partei ist? Gibt’s in Istanbul vierzig katholische Kirchen?«
»Zumindest gibt es dort ein christliches Kloster aus dem zehnten Jahrhundert«, wandte Anne ein.
»Ist es in Ordnung, wenn ein Araber die Löwen kauft?« – Nonnenmacher meinte den zweiten großen Münchner Fußballverein neben dem FC Bayern. »Und jetzt kommt auch noch so ein Bazi von einem Scheich daher und will uns unsere Weibersleut’ wegheiraten.« Er zögerte kurz und schob dann, in affektiertem Ton, hinterher: »Für seinen Harem. Harem, Harem, Harem, wenn ich das schon höre! Bayerische Madln in einem Scheichsharem. Unzucht ist das, und zwar mindestens hoch drei!«
Anne sah ihren Chef verständnislos an, weshalb Sepp Kastner, der den fragenden Blick bemerkt hatte, erläuterte: »Heute ist in der Zeitung eine Anzeige drin, in der der Scheich, den mir bewachen sollen,
Weitere Kostenlose Bücher