Aufgedirndlt
entspannt folgte.
Der Bürgermeister, die Bierkönigin, der Gleitschirmweltmeister, der Schlagersänger und Kurt Nonnenmacher blieben auf dem Platz vor dem Hotel zurück, während die Araber sich mit den anderen Honoratioren in den Barocksaal begaben, wo sie ein fürstliches Menü erwartete.
So weit hätte alles seinen normalen bayerisch-gemütlichen Gang gehen können. Doch als Kurt Nonnenmacher am nächsten Morgen beim Frühstück die örtliche Zeitung studierte, traf ihn fast der Schlag: Auf der Seite mit den Anzeigen stach unter den werblichen Informationen der örtlichen Handwerker und Geschäftsleute, Gastronomen und Eventerfinder eine besonders große hervor. Nonnenmacher las den Text einmal – schaute kurz zum Fenster hinaus auf den Kurpark, wo sich bereits ein paar Touristen herumtrieben –, las den Text noch einmal, schüttelte den Kopf, las ein drittes Mal und brummte: »Unglaublich. Damit ist das Ende Bayerns besiegelt.«
Seinen Kaffee ließ der Dienststellenleiter unberührt stehen, sogar die Streichwurstbrezen, die ihm seine Frau wie immer liebevoll geschmiert hatte, blieb angebissen auf dem Teller zurück, als er hastig das Haus verließ. Das »Willst nicht wenigstens noch Zähne putzen?« und das kurz darauf folgende »Ein frisches Taschentuch, du brauchst ein frisches …!« der Gattin hörte er schon nicht mehr, das ratlose Zucken ihrer Schultern sah er nicht mehr. Doch als Frau Nonnenmacher die aufgeschlagene Seite der Zeitung erblickte, wusste sie sofort, was ihren Mann so tief bewegt hatte.
Aus der Sicht einer emanzipierten Frau, als die sie sich durchaus fühlte, haftete dem Inhalt der Anzeige jedoch nicht nur Negatives an.
Auch Sepp Kastner hatte an diesem Morgen die Zeitung studiert, und auch ihn hatte die Lektüre nicht kaltgelassen. Allerdings sah Kastner angesichts dessen, was sich da ankündigte, weniger die bayerische Kultur in Gefahr als vielmehr seine eigenen Pläne. Kastner schwitzte vor Angst, obwohl die Sommersonne das Tal an diesem Morgen noch gar nicht richtig aufgeheizt hatte. Sein eigentlich noch recht harmloser Kommentar: »O Scheiße« ließ seine Mutter, die ihm, hasenzähnig an einem Kartoffelbrot mit Margarine kauend, gegenübersaß, beinahe das Gleichgewicht verlieren.
Anne Loop hatte morgens keine Muße zum Zeitunglesen, sie war Langschläferin, eine Eigenschaft, die mit dem Morgenprogramm einer alleinerziehenden Mutter nur schlecht zu vereinbaren war. Ihre Tochter Lisa aber war bereits so selbstständig, dass sie sich allein um ihr Frühstücksmarmeladenbrot kümmerte, während Anne Kaffee und Kakao zubereitete. Lisa hatte das Verschwinden ihres Ersatzvaters noch nicht so richtig verarbeitet, daher fragte sie vorsichtig: »Mama, kommt Bernhard nicht wieder?«
»Ich glaube nicht.«
Das Kind nahm einen Schluck aus der Tasse und zupfte nachdenklich an den Ärmeln seiner Strickjacke herum. »Warum ist Bernhard weg?«
»Er hat eine neue Freundin.«
»Wer ist die?«, fragte Lisa jetzt und tupfte mit ihrem Zeigefinger auf die Marmelade ihres Brots.
»Weiß nicht«, log Anne.
»Wohnt der jetzt bei der?«
»Nein, er wohnt auf dem Campingplatz«, stöhnte Anne beinahe.
»Cool, auf dem Campingplatz!« Lisa kiekste. »Wieso denn auf dem Campingplatz?«
»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Anne ratlos.
Dann war es eine Weile lang still, bis Lisa fortfuhr: »Mama?«
»Mmh?«
»Bist du jetzt traurig?«
»Ja«, sagte Anne. »Und du?«
»Ich auch.« Lisa dachte nach. »Aber nur ein bisschen.«
»Wieso nur ein bisschen?«
»Weil wir sicher einen Neuen finden.«
Anne sah ihre Tochter voller Zweifel an. Die fuhr fort: »Aber nicht den Sepp, gell, Mama, den nicht.«
»Wieso denn nicht?«
»Der ist zu doof für dich.«
»Aber der ist doch nett.«
»Aber doof. Wenn einer doof ist, kann man sich nicht in den ver…« Das Mädchen zögerte, steckte seinen Finger in den Kakao, leckte daran. »…knallen.«
»Du meinst verlieben?«, fragte Anne nach.
Lisa schwieg, ihr Gesichtsausdruck spiegelte ihre plötzliche Verlegenheit wider.
»Was ist denn das eigentlich genau, ›verlieben‹?« Sie sah ihre Mutter an. »Was verknallen ist, weiß ich, weil der Ben ist in die Emilie verknallt. Aber verlieben?«
»Was ist denn Verknalltsein?«, erkundigte sich Anne neugierig.
»Also beim Ben ist das so, dass er die Emilie in der Pause immer ärgert.« Sie überlegte. »Außerdem hat er ihr schon mal ein Fußballbild geschenkt. Und er schaut sie immer so doof an.«
Anne hatte
Weitere Kostenlose Bücher