Aufgedirndlt
Computernetz ein und recherchierte. Bei den Gebirgsschützen dieses idyllischen Bergtals handelte es sich offensichtlich um eine Art Landwehr, die wohl im siebzehnten Jahrhundert entstanden war. Ihre erste große Tat datierte auf das Jahr 1632: Sechsunddreißig schwedische Reiter waren in das direkt am See liegende Kloster eingedrungen, um Waffen zu rauben. Doch den Gebirgsschützen gelang es, die Schweden in die Flucht zu schlagen beziehungsweise an Ort und Stelle zu liquidieren. Aber auch später, so las der Husumer Gast mit jetzt hochrotem Kopf, waren die hiesigen Gebirgsschützen keiner gewalttätigen Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen, wenn es um die Verteidigung bayerischer Kultur und Lebensart gegangen war: Sowohl in der Sendlinger Mordweihnacht 1705 als auch im Österreichischen Erbfolgekrieg fünfunddreißig Jahre später schonten sie kein Menschenleben. Ihren letzten offiziellen Kampfeinsatz bestritten sie, so fand der Tourist heraus, unter Graf Arco im Jahr 1809. Zu jener Zeit, in der sich Bayern das benachbarte Tirol einverleibt hatte, stiftete der Freiheitskämpfer Andreas Hofer seine Landsleute dazu an, sich gegen die Besatzer zu wehren. Die Gebirgsschützen hielten dagegen. Hingerichtet wurde Hofer dann aber nicht von den schießwütigen Helden vom Bergsee, sondern vom Henker des französischen Kaisers, der damals Napoleon hieß. Allmählich dämmerte dem Feriengast von der Nordseeküste, dass der Bayer einem Menschenschlag angehörte, mit dem nicht zu spaßen war. Er ging zur Polizei.
»Guten Tag, mein Name ist Jobst Lappöhn«, erklärte der Husumer dem diensthabenden Beamten in Anne Loops Polizeidienststelle.
»Ja gut, da kann ich auch nix machen«, erwiderte der Beamte, dessen Nerven wie bei allen polizeilichen Mitarbeitern der Inspektion seit der Anwesenheit der Araber im Tal blanklagen.
»Sollen Sie ja auch gar nicht«, erwiderte Herr Lappöhn aus Nordfriesland freundlich. »Ich möchte gerne eine vertrauliche Mitteilung machen.«
»Und?«, fragte der Beamte.
»Es geht um den Besuch des Emirs von Ada Bhai. Es gibt Subjekte hier im Tal, die ein Attentat auf ihn planen.«
Plötzlich war der eben noch so mürrische Polizist hellwach: »Ein Attentat? Warten’S, ich lass Sie rein.« Er drückte den Türöffner, und Jobst Lappöhn betrat das Innere der Inspektion.
Wenige Minuten später saß er bei Anne Loop und Sepp Kastner im Dienstzimmer und berichtete von dem Gespräch, das er belauscht hatte. Kastner machte sich Notizen.
»Und wie sahen die beiden Männer aus?«, fragte Anne den Urlauber.
»Der eine trug so einen Arbeitsoverall, wie ihn beispielsweise Automechaniker verwenden; der andere hatte so eine bayerische Jacke mit grünem Krägelchen an, und auf dem Kopf trug er einen Seppelhut.«
»Einen was?«, fragte Kastner entsetzt.
»Na ja, so einen Seppelhut«, meinte der Urlauber ernst.
»Also, wenn Sie sich über uns lustig machen wollen, dann sind Sie bei uns falsch«, sagte Kastner; seine Miene hatte sich schlagartig verfinstert.
Der Kurgast war verunsichert: »Wieso sollte ich das tun wollen? Ich möchte mich nur nicht strafbar machen. Ich habe mich informiert: Laut Paragraf 138 Absatz 1 Nummer 5 Strafgesetzbuch kann schließlich jeder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren belegt werden, wenn er von dem Vorhaben oder der Ausführung eines Mordes hört und nicht rechtzeitig Anzeige erstattet. Dieses Gesetz gilt doch auch in Bayern, oder etwa nicht?«
Auch Anne Loop irritierte das Verhalten ihres Kollegen. »Was ist denn mit dir, Seppi?«, fragte sie vorsichtig.
Kastner antwortete mit der Stimme eines Großinquisitors: »Jetzt wiederholen’S bitte noch einmal Ihre Personenbeschreibung.«
Verunsichert, aber doch deutlich und gut verständlich, wiederholte der Nordfriese seine Aussage: »Der eine Verdächtige trug einen Arbeitsoverall, der andere einen Seppelhut.«
»Se-ppel-hut!«, schrie Kastner. »Seppelhut!« Er schnappte nach Luft. »Ja, sagen Sie mal, wo sind mir denn hier? Meinen Sie, dass das hier ein Kasperltheater ist oder was? Sie, mein Lieber, das ist hier die Polizei, die wo für den kompletten See plus Zusatzgemeinden und Pipapo zuständig ist. Das sind dreißigtausend Menschenleben, die wo mir hier zum schützen haben, und Sie kommen mir mit einem Seppelhut daher!«
Sepp Kastner donnerte die Faust auf den Tisch. Dann fragte er leiser, beinahe zynisch: »Hatte der andere, also der mit dem Overall, vielleicht auch eine Kasperlmütze auf, ha? Und war
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