Aufgedirndlt
wenig Möglichkeit zum Randalieren. Da außer der Wolldecke kaum lose Gegenstände vorhanden waren, mit denen der wütende Wax hätte um sich werfen können, hatte sich der durchaus bauernschlaue Politiker darauf verlegt, Radau zu machen.
»Hilfe!«, schrie der verzweifelte Mann, der alle Träume von einer goldenen Zukunft mit schönen Frauen und den Lederhosentaschen voller Geld wie arabisches Wüstenöl zwischen seinen Fingern zerrinnen sah, immer wieder, »Hilfe, hier wird ein ehrbarer Mann seiner Freiheit beraubt!« Mitunter skandierte er auch »Freiheit statt Korruption!« oder »Es lebe der Freistaat! Lasst’s mich raus, ich bin immer noch euer Bürgermeister«. Alois Wax verstand sich einfach auf die Vermittlung simpler Parolen, weshalb er auch so häufig als Gemeindevorsteher wiedergewählt worden war.
Immerhin hatte sein Gebrüll zur Folge, dass regelmäßig besorgte Urlauber die Polizeistation betraten und sich erkundigten, ob alles in Ordnung sei.
Nonnenmacher hatte seine Mitarbeiter angewiesen, ihnen zu erklären, dass man im Keller einen seit Jahren gesuchten Psychopathen festhalte. Auf diese Aussage hin waren noch alle Urlauber beruhigt wieder von dannen gezogen. Einmal mehr bewies die bayerische Polizei, dass sie dank ihrer speziellen bayerischen Methoden auch mit schwierigsten Charakteren gut zurande kam und schnell für allumfassende Sicherheit sorgte.
Als Anne, begleitet von Kastner, die Zelle betrat, machte der Bürgermeister gerade eine Pause mit Brüllen. Die letzte lautstarke Tirade, in der er »Gerechtigkeit für einen Unschuldigen« gefordert hatte, hatte ihn viel Energie gekostet.
»Guten Tag«, grüßte Anne den über eine Mischung aus übergroßer Libido und geschäftlicher Selbstüberschätzung gestolperten Mann. »Wir würden jetzt gerne eine Speichelprobe von Ihnen nehmen«, sagte die Polizistin freundlich. Der Würdenträger lag reglos auf seiner Pritsche.
»Der hat die Augen zu«, meinte Kastner, und sofort durchzuckte ihn ein Schreck. »Ist er tot?«
Vorsichtig näherten sich die beiden Polizisten dem Kommunalpolitiker, der eben noch so getobt hatte, dass man es in der gesamten Dienststelle hatte hören können.
»Herr Wax«, sprach die Polizistin den Liegenden an. Kastner rüttelte am Oberkörper des Bürgermeisters. Doch der Angesprochene regte sich nicht.
»Miss mal den Puls«, schlug Anne vor.
Kastner legte eine Hand auf das Herz des Bürgermeisters und sagte nach wenigen Sekunden: »Schlägt.«
»Puh!«, meinte Anne. »Das wäre jetzt noch was gewesen … Wenn der einen Herzinfarkt bekommen hätte …«
»Lassen mir ihn schlafen?«, schlug Kastner vor. »Der wird halt müd’ sein von seiner Schreierei.«
»Das geht nicht«, meinte Anne. »Bis wir die Auswertung des Speicheltests haben, dauert es ein paar Tage. Wenn wir den Speichel jetzt nicht bekommen, verlieren wir kostbare Zeit.« Und an den Inhaftierten gerichtet: »Herr Waaax! Aufwachen! Wir brauchen Sie! Speichelprobe! Halllooo!« Keine Regung.
»Ich hab’ eine Idee«, sagte Kastner daraufhin. »Mir brauchen ja gar nicht unbedingt seinen Speichel. Ein Haar tut’s auch.« Und schon hatte er dem Politiker ein ganzes Büschel ausgerissen, was diesen erstaunlich schnell mit einem lauten »Au!« aus dem Tiefschlaf erwachen ließ. Dass der Bürgermeister sie in der Folge als »korrupte Saubande« beschimpfte, verziehen die beiden Ermittler dem Mann. »Wenn einer so tief gefallen ist«, konstatierte Kastner weise, als er die Zellentür wieder zusperrte, »muss man nicht noch auf seiner Seele herumtrampeln.« Durch die Tür wimmerte derweil der Bürgermeister wie ein kleines Kind. Wer mit viel zu jungen Gespielinnen turtelt und obendrein ins arabische Ölbusiness will, braucht eine Psyche, die cool ist wie der Zugspitzgletscher und noch unverrückbarer als ihr Gipfel.
Mit Anspannung sah die gesamte Ermittlergruppe der Bekanntgabe der Ergebnisse des DNA-Tests entgegen. War es sonst üblich, eher knapp vor der Besprechung das Sitzungszimmer aufzusuchen, saßen an diesem Tag alle Polizisten bereits eine Viertelstunde zu früh im Raum.
Nonnenmacher hatte sogar schon eine halbe Stunde vorher – unter Mithilfe des schwäbischen Kollegen Schmiedle und des Polizeilehrlings Hobelberger – den Raum fliegenfrei gemacht. Schmiedle, der als Allgäuer technischen Neuerungen besonders offen gegenüberstand, hatte eine Spraydose mitgebracht, die aus seinem letzten Campingurlaub in Kroatien stammte und die neben ihrer
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