Aufgeflogen - Roman
Vielleicht bereut er das, was er damals getan hat. Vielleicht ist er froh um die Gelegenheit, etwas für Isabel und Eugenia zu tun. Zum Beispiel helfen, eine neue Unterkunft für die beiden zu finden, denn ewig können sie nicht im Waldhaus bleiben. Manche Illegale haben falsche Papiere – vielleicht kann man welchefür Isabel und Eugenia anfertigen lassen, wenn Bruckner ihm das Geld dazu gibt?
Christoph richtet es so ein, dass er der letzte Patient in Bruckners Praxis ist. Der Arzt guckt kurz in die Patientendatei, dann mustert er ihn aufmerksam.
»Wieder Bauchschmerzen?«
Christoph schüttelt den Kopf.
»Ich möchte Sie bitten, Eugenia und Isabel zu helfen.«
Der Arzt stutzt. Er hat’s kapiert, denkt Christoph. Bruckner nimmt seinen Füller, spielt damit, will seine Unruhe kaschieren.
»Eugenia lebt illegal in Deutschland, seit fast fünfzehn Jahren – mit Isabel, die Ihre Tochter ist.«
Bruckner sieht ihn fassungslos an: »Ich habe eine Tochter?«
Christoph nickt: »Die beiden sind in Schwierigkeiten …«
Der Arzt sagt nichts, starrt nur vor sich hin. Christoph setzt nach.
»Eugenia hat damals Ihr Kind nicht abgetrieben, Herr Lehnert.«
Er muss seinen ganzen Mut zusammennehmen, um den Arzt mit seinem Geburtsnamen anzusprechen, den dieser mit der Heirat abgelegt hat. Um nicht gefunden zu werden?
Dass Bruckner nicht antwortet, verunsichert ihn.Soll er ihm noch drohen, zum Beispiel, dass das eine Super-Geschichte für die Boulevardzeitungen wäre? Lieber nicht. Er will doch, dass Bruckner ihm hilft.
Auch von den Mordermittlungen sagt er noch nichts. Offenbar hat der Arzt nicht die Zeitung gelesen, in der das Foto von Isabel und Eugenia zu sehen war, in welcher ihre Vornamen abgedruckt waren.
»Wer hat dir das alles erzählt? Und woher willst du wissen, dass das alles so stimmt?«
Bruckner-Lehnert versucht, Zeit zu gewinnen.
»Ist es denn gelogen?«, fragt Christoph zurück. »Die Geschichte von der Freundin aus Kolumbien, die nach Hause flog und feststellte, dass sie schwanger war?«
Er war nie ein Held, auch kein Provokateur wie Ben, er hat zu Hause gelernt, dass man andere Menschen respektvoll behandelt. Es macht ihm Probleme, den Arzt so anzugehen. Er tut es für Isabel. Der Mann ist seine letzte Hoffnung. Wenn das nicht klappt, dann weiß er nicht, wie er Eugenia und Isabel noch helfen kann.
Das Schweigen dauert ewig. Zumindest kommt es Christoph so vor. Dann steht Bruckner auf und zieht seinen Kittel aus. Er nimmt das Telefon und wählt eine Nummer.
»Wen rufen Sie an?« Christoph wird unruhig. Doch Bruckner ignoriert ihn.
»Richten Sie meiner Frau bitte aus, dass es etwas später wird. Ein Notfall.«
Dann wendet er sich an Christoph.
»Bring mich zu ihnen.«
Der Blick Eugenias, als sie die Hütte betreten.
Sie steht auf, sie starrt diesen Mann an.
Sie sagt kein Wort.
Auch Bruckner sagt nichts.
Doch sein Blick verrät, wie sehr ihn diese Begegnung nach so vielen Jahren bewegt. Mehr als ihm lieb ist.
»Ich hatte keine Ahnung, dass ich eine Tochter habe. Und dass du in Deutschland bist«, sagt Bruckner.
»Du hast gewusst, dass ich dich immer suchen werde«, antwortet Eugenia.
»Ich war einige Jahre als Arzt im Ausland, in Spanien«, sagt Bruckner und lächelt schmal. »Du konntest mich gar nicht finden. Und als ich dann geheiratet habe …«
Eugenia weicht seinem Blick aus. Er sagt einige Worte auf Spanisch, die Christoph nicht versteht. Sie klingen nach Vertrautheit und Bedauern, nach Wehmut und ein bisschen sogar nach Reue, findet er.
Eugenia ist den Tränen nahe.
»Wo ist meine Tochter?«
»Sie hat sich oben hingelegt.«
Eugenia und Bruckner setzen sich an den Tisch, sie können die Augen nicht voneinander wenden. Christoph lässt sie allein. Er will hinauf zu Isabel, ihre Nähe spüren, ihr zuflüstern, wie sehr er sie liebt, sie schonend darauf vorbereiten, dass der unbekannte, aber verhasste Vater da ist.
Isabel schläft tatsächlich, eingemummelt in einen alten Schlafsack, der wohl irgendwo hier herumlag. Sie sieht blass und erschöpft aus. Christoph legt sich leise zu ihr, betrachtet sie, streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er spürt ihren Atem, greift nach ihrer Hand. Er will sie nicht wecken, aber ihr nahe sein. Er könnte ewig so liegen.
9. Kapitel
Als Isabel die Augen aufschlägt, blickt sie in Christophs Gesicht. Er ist ihr so nah, lächelt sie zaghaft an. Sie lächelt zurück.
»Gut, dass du da bist.«
Er nimmt
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