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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Berufsschule   – er will für sie blaumachen. Sie weiß, dass er seinen Job sonst sehr ernst nimmt. Sie würde ihn nicht bitten, wenn es nicht dringend wäre. Sie verabreden sich in der Naunynstraße. Hier ist ein Jugendtreff. So früh am Tag hat er noch nicht offen, aber sie können sicher im Hinterhof sitzen, sich in aller Ruhe unterhalten, ohne dass jemand sie beachtet.
     
    Als Isabel am Oranienplatz ankommt, spürt sie den Hunger. Nicht die Müdigkeit, nicht die Erschöpfung. Aber ihr Kreislauf spielt verrückt. Sie hat Angst, dass sie zusammenklappt. Auch diese Schwäche kann sie sich nicht leisten. Sie kauft sich von ihrem wenigen Geld einen Kaffee und ein Brötchen. Geht weiter. Lehnt sich kurz an eine Wand. Spürt Blicke. Geht weiter.
    Ich brauche noch eine Stunde, schreibt Mehmet in einer SMS.   Isabel aber will nicht irgendwo herumsitzen und warten. Sie könnte für eine Schülerin gehalten werden, die den Unterricht schwänzt. Sie möchte in eine Kirche gehen, sich setzen und ausruhen. Aber die Kirchen auf ihrem Weg sind alle verschlossen.Und sie hat keine Kraft, noch weiter herumzulaufen. Also geht sie schon vor in die Naunynstraße, setzt sich auf eine Bank im Hinterhof. Wartet. Und hofft inständig, dass Mehmet und Esra sie nicht verraten, sondern die Freunde sind, für die sie sie gehalten hat   – seit sie mit ihrer Mutter hier in Kreuzberg zu Hause ist. Zu Hause   … Was für ein schönes Wort.
     
    Wer im Schatten lebt, muss warten können. Isabel nutzt die Zeit und checkt ihr Handy. Wie vermutet: Anrufe und SMS von Eugenia und Christoph. Sei nicht unvernünftig   … Tu nichts Unüberlegtes   … Komm zurück   … Zu gefährlich   … Er wird uns helfen   … Wir brauchen ihn   …
    Soll sie zurückschreiben? Dass es ihr gut geht? Dass alles okay ist? Aber es geht ihr nicht gut. Und nichts ist okay. Sie wird später antworten. Erst will sie mit Mehmet sprechen.
     
    Dann ist er da. Sie lässt sich von ihm in den Arm nehmen. Egal, was er dabei denkt, was er sich erhofft, was er wünscht. Sie braucht jetzt für diesen einen Moment die Sicherheit und die Wärme.
    »Tut mir leid, wenn ich euch da mit reinziehe.«
    »Schon gut, aber lass mich machen, nicht Esra.«
    Er hat etwas zu essen und zu trinken mitgebracht.
    »Was brauchst du noch? Sag es mir, ich kann esbesorgen. Hast du ein Versteck? Wo ist deine Mutter? Wie kann ich euch helfen?«
    Es ist ihr fast zu viel.
    »Denkst du, dass ich etwas mit Krögers Tod zu tun habe?«
    Mehmet mustert sie aufmerksam mit seinen dunklen Augen, dann schüttelt er den Kopf.
    »Keinen Moment habe ich das gedacht.«
    »Aber wer kann es gewesen sein?«
    »Jeder.«
    Isabel sieht ihn fragend an und Mehmet zieht eine Grimasse.
    »Nein, ich war es auch nicht. Obwohl   … wär’s gern gewesen. Für dich.«
    Wie warm seine Augen sie ansehen. Er streckt die Hand nach ihrer Hand aus. Sie zieht sie zurück. Um ihn nicht so sehr zu kränken, tut sie so, als würde sie ein Taschentuch suchen. Findet keines. Mehmet holt eines aus seiner Hosentasche. Zerknittert, aber sauber. Sie nimmt es, achtet jedoch darauf, dass sich ihre Hände nicht berühren.
    »Was macht die Polizei?«
    »Kommt fast jeden Tag. Fragt alle. Immer wieder.«
    »Sie fragen nach uns?«
    »Auch.«
    »Meinst du, ich kann mal in unsere Wohnung?«
    »Vergiss es.«
    »Kannst du rein und mir ein paar Sachen besorgen?«
    Sie sieht an sich herunter, die Kleidung schmutzig und muffig. Mehmet schüttelt bedauernd den Kopf.
    »Ist versiegelt. Aber vielleicht   …«
    »Nein, du darfst nichts riskieren«, entscheidet Isabel und bereut schon, Mehmet gefragt zu haben.
     
    »Ich muss bald weg«, sagt Mehmet. »Ich habe mich krankgemeldet. Und wenn ich hier rumlaufe, das ist viel zu nah an der Schule.«
    Er grinst schief: »Ich will mich nicht erwischen lassen.«
    »Ich begleite dich ein Stück.«
    »Zu gefährlich.«
    »Nicht bis zum Haus. Nur ein bisschen. Damit du mir noch mehr erzählen kannst.«
    Sie will nicht allein sein. Hat keine Ahnung, wie es weitergehen, was sie tun soll. Wie kann sie den Mörder suchen, wenn sie nirgends auftauchen darf?
    Gemeinsam gehen sie durch die Straßen. Nicht zu schnell, nicht zu langsam. Ein Blick nach hinten, einer nach vorne, zur Seite. Niemand verfolgt sie, niemand beobachtet sie. Durch die Manteuffelstraße, dann stehen sie an einer roten Ampel. Isabel denkt an den Augenblick mit Christoph, als er sie über die Straße ziehen wollte. Und ein Polizist auf sie

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