Aufgeflogen - Roman
Ihr eine Strähne aus dem Gesicht streichen und sie dabei anlächeln – ich wusste nicht mehr, wie das ging.
Dann doch der Moment, in dem sich unsere Hände berührten, weil wir gleichzeitig nach dem Bleistift greifen wollten. Nicht sie zuckte zurück, sondern ich. Als wäre schon dieser winzige Kontakt zu viel. Erst war es nur ein Lächeln, dann aber, als ich rot wurde, begann sie zu lachen und sprach mich auf Spanisch an.
»Ich verstehe kein Wort«, murmelte ich.
Sie nahm meine Hand, drückte sie fest und sagte: »Ich wusste nicht, dass du schüchtern bist.«
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass Liebe etwas sehr Ernstes ist. Wir hatten nicht einfach Spaß, wir machten auch nicht rum. Nichts war nur ein bisschen, alles war ganz. Eine Sache auf Leben und Tod, so dachte ich, als sie in meinen Armen weinte, nachdem wir miteinander geschlafen hatten. Bei eineranderen hätte ich gedacht, dass ich sie trösten muss. Aber da ich selbst den Tränen nahe war, wusste ich, wir fühlten dasselbe. Es war zu intensiv, um es einfach mit einem lieben Blick oder einem Lächeln abzutun.
Auch wenn ich kaum Zugang zu Isabels Welt hatte, so lernte ich doch ein anderes Leben kennen. Denn um sie nicht zu beschämen, sparten wir uns all die schönen Dinge, die Geld kosten. Wir gingen nicht essen, sondern packten ein paar Sachen ein und fuhren zum See. Wasser, Sonne, Gras … Ich beobachtete einen Käfer, der über meinen Fuß kroch, Isabel hinderte mich daran, ein Gänseblümchen zu pflücken, um es ihr zu schenken.
Niemandem hätte ich das erzählen wollen. Christoph, der mit Insekten spielt. Christoph, der Blumen verschont, weil sie auch leben wollen.
Nie habe ich so viel von Berlin gesehen wie in diesem Sommer. Nie habe ich mich selbst so sehr gespürt wie in diesen Wochen.
Doch es reichte mir nicht. Ich wollte nicht den Moment, ich wollte die Ewigkeit. Suchte nach Lösungen, die mir damals noch so einfach erschienen.
»Du ziehst zu mir.«
»Ich lasse meine Mutter nicht allein.«
»Dann zieht ihr beide zu uns.«
»Das ist doch Unsinn, Christoph. Es geht nicht.«
»Und warum nicht?«
»Dein Vater ist Anwalt und wir sind illegal.«
»Ich sage ihm alles und er sucht einen Weg, euch zu helfen.«
»Es gibt diesen Weg nicht.«
Pause. Ich wollte gerade wieder ansetzen mit meiner Super-Idee, doch sie kam mir zuvor.
»Sag es bitte nicht.«
»Aber wenn wir heiraten …«
»Darüber macht man keine Witze.«
Sie stand auf und ging weg.
Die Suche nach dem Vater erschien mir als die beste Lösung. Oder die einzige Lösung. Denn so ganz klar war mir nicht, wie es weitergehen würde, wenn ich ihn gefunden hätte. Ich dachte einfach, alles würde gut werden.
Als ich ihn gefunden hatte, fühlte ich mich wie der King. Dass Isabel so wütend war, ich konnte es einfach nicht begreifen. Aber ich merkte, dass sie mir ab sofort misstraute.
Es gab immer öfter Streit. Ich übersah viele Zeichen, dass etwas nicht stimmte, gerade in den letzten Wochen.
Manchmal zuckte sie zusammen, wenn ich sie berührte.
Ständig wollte sie duschen.
Sie vermied es, über Nacht zu bleiben. Behauptete, ihre Mutter brauche sie.
Sie wurde verschlossener statt offener.
Sie sagte ab. Nein, es liege nicht an der Arbeit als Küchenhilfe, meinte sie auf meine Nachfrage. Sie brauche einfach mehr Zeit für sich.
Ich hätte aufmerksamer sein sollen. Ihr Blick war oft so leer, so stumpf. Sie hatte resigniert. Aber ich merkte es nicht. Ich fragte nicht, warum. Ich wollte es nicht wissen. Der Sommer war schön gewesen, es sollte einfach so weitergehen.
Dieser Streit war besonders heftig.
Wieder ging es um ihren Vater.
»Er hat eine Verantwortung euch gegenüber.«
»Er wollte mich nicht – und ich will ihn nicht.«
»Vielleicht hat er sich geändert. Hab doch ein bisschen Vertrauen.«
Isabel lachte nur höhnisch und bitter.
»Aber so geht es doch nicht weiter!«, brüllte ich.
»Dann lass es!«, schrie sie zurück.
Sie wollte weg, aber ich hielt sie fest. Nur um sie zur Rede zu stellen. Aber sie reagierte völlig panisch. Schrie, weinte, schlug um sich, als ginge es um ihr Leben.
»Ich tue dir doch nichts!«
Sie antwortete nicht, schnappte nach Luft. Hyperventilierte.Ich hielt ihr den Mund zu, damit sie nicht so schnell, so heftig atmete. Das machte alles nur noch schlimmer.
Sie war immer vorsichtig gewesen, manchmal sogar ängstlich. Aber diese Panik, dieses Entsetzen, das war mir
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