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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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überzeugt, dass alle sie für die Täterin halten.«
    Wieder nickt Tatjana. Geht einfach weiter. Christoph folgt ihr.
    »Aber ihr hattet doch alle ein Motiv, oder? Er hat jeden von euch schlecht behandelt.«
    Schweigen. Christoph bohrt nach.
    »Dich doch auch.«
    »Nicht wie Isabel.«
    Er stutzt. Was meint sie damit? Tatjana will weitergehen, aber Christoph hält sie am Arm fest, sieht sie an. Sie weicht seinem Blick aus.
    »Was heißt das?«
    Schweigen.
    »Du hattest doch auch einen Grund, ihm den Tod zu wünschen. Isabel hat mir erzählt, dass Kröger dich angemacht hat.«
    »Nur am Anfang. Aber das hat aufgehört.«
    »Wann?«
    Schweigen.
    »Warum?«
    Schweigen.
    »Eugenia?«
    Tatjana schüttelt den Kopf.
    Christoph ahnt die Wahrheit. Will sie nicht wissen. Er lässt Tatjana los, will weglaufen. Jetzt hält sie ihn fest.
    »Sie wollte nicht. Aber sie hatte keine Chance. Er hätte sie sonst verraten.«
    Er mag es nicht mehr hören. Er wäre am liebsten tot.
     
    Er rennt durch die Straßen. Weiß nicht, warum. Weiß nicht, wohin.
    Warum hat er nichts bemerkt? Seit wann ging das so?
    Klar hat Kröger sie gezwungen, das Schwein. Aber warum hat sie sich ihm nicht anvertraut, warum hat sie nicht mit ihm geredet? Er hätte Kröger drankriegen können.
    Er kommt sich so dumm vor. Er hatte keine Ahnung. Offenbar wussten alle, dass Kröger seine Freundin zum Sex gezwungen hat, nur er war der ahnungslose, liebe Junge.
    Immer und immer wieder: Warum hat sie nichts gesagt, verflucht noch mal!
    Er hätte ihn umgebracht   …
    Christoph bleibt stehen. Völlig neue Gedanken schießen ihm durch den Kopf. Isabel hatte ein starkes Motiv, Kröger zu töten. Er hat sie vergewaltigt, gequält, genötigt, gepeinigt   … Er mag sich gar nicht vorstellen, was alles passiert ist, sie war vollkommen in seiner Hand.
    Hat sie ihn erschlagen? Verprügelt und die Treppe hinuntergestoßen? Ist Isabel eine Mörderin?
    Verstehen könnte er es   …
    Dann wäre auch klar, warum sie aus dem Waldhaus abgehauen ist. Nein, sie möchte gar nicht den Mörder suchen, sie weiß ja, wer es war. Sie ist auf der Flucht. Vielleicht will sie ihre Mutter da nicht mit reinziehen, oder ihn   … Quatsch, um ihn geht es ihr doch am allerwenigsten. Sie hat ihm nicht die Wahrheit gesagt, was Kröger ihr angetan hat, sie hat ihm vielleicht auch nicht die Wahrheit gesagt, was seinen Tod betraf.
     
    In den letzten Tagen hatte sich immer mal wieder für Hundertstelsekunden der Gedanke eingeschlichen: Was wäre, wenn sie es getan hätte?
    Doch er hatte ihn immer sogleich vertrieben. Nein, Isabel war es nicht gewesen. Nein, sie hatte mit Krögers Tod nichts zu tun.
    Natürlich bedauerte sie den Tod des Hausmeisters nicht. Aber sie war keine Mörderin. Bestimmt nicht.
     
    Und wenn doch? Und wenn doch? Und wenn doch? Es hämmert in seinem Kopf.
    Er lehnt sich an eine Mauer, schließt die Augen, atmet tief durch.
    Ich verdächtige sie und ich liebe sie, denkt er.

14.   Kapitel
    Was war es gewesen, was uns alle vom ersten Moment an in Isabels Bann zog? Als sie da vor der Klasse stand, nach den Winterferien, als sie so tat, als würde sie unsere Blicke nicht bemerken? Jeans, Rollkragenpulli, Stiefel, alles war nicht vom Feinsten, sie war nicht geschminkt, ihre langen, lockigen Haare hatte sie kunstlos zusammengebunden, als wäre es ihr egal. Vielleicht waren es diese Augen, die scheinbar gleichgültig über uns hinwegsahen. Und die doch verrieten, dass sie etwas vom Leben wusste, was wir nicht kannten.
    Ich brauche euch nicht, das sagte jeder ihrer Blicke. Ich komme gut allein zurecht, das sagte jede ihrer Bewegungen. Ihr habt doch alle keine Ahnung.
     
    Durch sie wurden viele Dinge aus meinem Leben so banal. Das fiel mir auf, als wir uns über die Nachhilfe näherkamen. Das Tennisspielen, der beendete Klavierunterricht, der letzte gemeinsame Urlaub mit meinen Eltern in den USA, darüber konnte ich mit jedem Mädchen aus meiner Klasse reden. Bei ihr aber wirkte das in dem Moment unwichtig, als ich es ansprach. Auchgenervte Kommentare über Eltern kamen nicht gut. Sie sah mich direkt an, als wollte sie sagen: Deine Probleme möchte ich haben.
     
    Sie war nicht meine erste Freundin. Aber sie war die Erste, um deren Zuneigung ich wirklich kämpfte. Und bei der ich unsicher war in allem. Den Arm um sie zu legen, beiläufig, selbstverständlich, das war überhaupt nicht drin. Eine scheinbar unbedachte, in Wirklichkeit aber gezielte Berührung der Hand   – wie denn?

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