Aufgeflogen - Roman
haben sie verändert.
Sie haben sich fast verloren. Aber jetzt sind sie einander nah.
Mitten auf der Straße in Kreuzberg.
Sie sehen sich an mit dem Gefühl, dass sie wirklich eine Chance haben, noch einmal von vorne anzufangen. Als wäre nichts gewesen.
Sie verstecken sich nicht voreinander.
Aber sie verstecken sich auch nicht vor der Welt.
Nachdem sie so lange vorsichtig waren, niemandem trauten, nicht einmal einander, sind sie jetzt offen. Aber auch schutzlos.
Christoph hält Isabel im Arm, sie können nicht reden. Er weiß, er sollte wachsam sein, die Augen offen halten, sie sind mitten in Isabels Viertel, jeder Passant könnte sie hier erkennen. Er will sie doch beschützen, er will, dass alles gut wird.
Doch er übersieht die Frau mit den Plastiktüten voller Einkäufe, die auf der anderen Straßenseite geht und ihnen einen zunächst irritierten Blick zuwirft, der nach und nach hasserfüllt wird. Würde er ihr in die Augen sehen, dann könnte er die Gefühle entdecken, die einen Menschen zerfressen: Neid, Eifersucht, Missgunst, Enttäuschung, Wut.
Isabel schmiegt sich in seine Arme und weint. Er genießt ihre Nähe. Er hört Isabels Versprechen, dass sie ihm nie mehr misstrauen will. Er wiederum verspricht ihr, dass er immer für sie da sein möchte. Er spürt den Zauber des Neuanfangs – aber auch, wie diese Magie Sekunden später verflogen ist.
Denn Christoph kennt das Gefühl, wenn Isabel sich verhärtet. Er weiß aber nicht, warum sie es ausgerechnet jetzt tut, in diesem innigen Moment.
Sie blickt an ihm vorbei, irgendetwas in seinem Rücken macht ihr Angst. Er sieht diese flackernde Panik, er sieht, wie sie lautlos das Wort formt: Polizei.
»Lauf«, flüstert er. »Ich halte sie auf.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht mehr.«
Sie zittert am ganzen Leib. Er möchte ihr seine Kraft geben, er fühlt sich stark durch ihre Versöhnung.
»Hau ab. Bitte.«
»Ich schaff das nicht mehr.«
Hinter ihm schon die Stimme: »Ihre Ausweise bitte.«
Er stößt sie von sich. »Lauf!«, brüllt er und jetzt beginnt sie zu rennen. Einer der Polizisten will ihr nach, doch Christoph stellt ihm ein Bein. Er knallt aufs Pflaster, ein grässlicher Fluch, sein Kollege greift sich Christoph, nicht gerade zimperlich.
Da sieht er sie stehen, die Frau des Hausmeisters.
»Da ist sie!«, schreit die und deutet auf Isabel, die geschickt zwischen all den Menschen hindurch ihren Weg findet.
Christoph sieht sie an. Jetzt kann er erkennen, dass sie ihnen nicht gönnt, was sie selbst nie gehabt hat. Dieses Gefühl, füreinander da zu sein, bedingungslos.
Es ist wie immer, überlegt er, als ihn die Polizisten zu ihrem Wagen bringen.
Gerade war Isabel noch da, jetzt ist sie verschwunden.
Intensive Nähe, flüchtig wie ein Hauch. Dann ist sie weg.
Es fühlt sich an, als könnte sie sich in Luft auflösen.
Immer hat ihn das verwirrt und verärgert.
Zum ersten Mal freut er sich darüber. Sie konnte fliehen.
18. Kapitel
»Sie haben kein Recht, meinen Sohn hier festzuhalten.«
»Sie wissen selbst, dass wir das können, wenn er Beschuldigter in einem Strafverfahren ist.«
Schweigend hört sich Christoph den Schlagabtausch zwischen seinem Vater und der Polizei an. Er hat ihn nach der Festnahme angerufen, seinen Vater, den Anwalt. Auch wenn der stinksauer auf ihn ist, er wird ihn nicht im Stich lassen, das weiß Christoph. Und zum ersten Mal ist er dankbar dafür, dass seine Eltern so sind, wie sie sind. Manchmal nervig in ihrer Fürsorge und Kontrolle, aber immer für ihn da.
Abgerissen sitzt er hier, müde und kaputt. Dachte er wirklich, er könnte Isabel beschützen? Oder Krögers Mörder finden und damit Isabel entlasten?
Sein Vater gibt sich alle Mühe, ihn zu entlasten. Wenn er Pech hat, hängen sie ihm den Mord an Kröger an. Denn sie wissen längst, dass Kröger Isabel missbraucht hat. Und damit hätte er ein starkes Motiv. Irgendjemand aus dem Haus hat es ihnen gesteckt, vielleicht Tatjana oder sogar die Frau des Hausverwalters selbst. Die hat es sicher anders dargestellt,nämlich so, dass Isabel sich ihrem Mann an den Hals geworfen hat.
Dass er eine Illegale unterstützt hat, dass er sie vor der Polizei versteckt, das alles ist schlimm genug, verblasst aber angesichts des Mordverdachts. Absurd: Ausgerechnet jetzt kommt die Erkenntnis, dass Isabel völlig legal in Deutschland leben könnte. Wenn Eugenia damals anders gehandelt hätte, wenn Isabels Vater auffindbar gewesen
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