Aufregende Leidenschaft
sie sich hereingelegt fühlen.“
„Werden sie nicht“, sagte Sally.
„Wieso bist du dir da so sicher? Wie kommst du darauf, dass die Calderinis nicht misstrauisch werden?“
„Meine Schwester ist noch chaotischer als ich. Die könnte ein Geheimnis nicht einmal dann bewahren, wenn ihr Leben davon abhinge. Das müsste Vinnie inzwischen gemerkt haben.“
„Noch chaotischer als du?“
„Allerdings“, bestätigte Sally. „Warum grinst du so? Ich weiß, ich wirke nicht gerade wie eine Säule der Vernunft, aber verglichen mit meiner Schwester bin ich sehr besonnen.“
„Unglaublich. Wo bewahrt dein Vater seinen Scotch auf?“
Sally hielt es kaum noch aus. Er saß da in Jeans und Pullover, rauchte seine verdammten Zigaretten, verlangte nach Scotch und sah mit seinem lädierten Gesicht irgendwie hinreißend aus.
Sie stieß sich vom Tisch ab, und als sie aufstand, kippte der Stuhl um. „Such ihn dir selbst.“
„Was ist? Hast du endlich kapiert, dass ich nicht der Mann deiner Träume bin?“
„Es gibt Zeiten, Diamond, da könnte ich dich hassen“, verkündete sie trügerisch ruhig. „Ich gehe nach oben ins Bett. Such dir ein Zimmer. Du kannst es vollqualmen, dich besinnungslos betrinken und so unausstehlich sein, wie du willst. Wir sehen uns dann morgen.“
„Sally …“
„Keine Entschuldigung, Diamond“, erwiderte sie mit vom Stress hoher Stimme. „Es ist zu spät.“
„Ich wollte mich nicht entschuldigen. Ich wollte nur wissen, ob du einen Wecker hast. Wenn ich mich besinnungslos betrinke, wache ich wahrscheinlich erst mittags auf.“
Er hatte dieses verdammte Lächeln auf dem Gesicht, als fände er ihre Verärgerung amüsant. „Weißt du, Diamond, mir reicht es jetzt“, sagte sie freundlich. Und dann kippte sie den Tisch um, mit ihm Suppe, Kaffee und Toast auf Diamonds Schoß.
Sie rannte los, hoffte irgendwie, dass er ihr folgen würde. Wenn er sie einholte, würde alles seinen natürlichen Lauf nehmen. Doch er folgte ihr nicht, und als sie oben ankam, wurde ihr klar, was sie getan hatte.
Was war los mit ihr? Sie versuchte, das Leben wie eine Party zu sehen, als etwas, das zu ihrem Vergnügen da war. Als ihre Mutter verschwand, hatte Sally erfahren, was Verlassenwerden und Zurückweisung bedeuteten. Sie hatte sich geschworen, dass ihr so etwas nie wieder passieren würde. Nie wieder würde sie einen Menschen so nah an sich herankommen lassen, dass sie von ihm abhängig wurde.
Wieso hatte sie sich ausgerechnet in jemanden wie James Diamond verliebt?
Es ist zu spät, dachte sie und ging den Flur entlang, ich kann mich nicht einfach wie eine Schildkröte unter dem Panzer verkriechen und so tun, als wäre nichts passiert.
Und schon gar nicht konnte sie einen Zyniker wie Diamond dazu bringen, sich in sie zu verlieben. Also blieb ihr nur eines übrig. Sie musste so tun, als wäre nichts passiert. Schließlich brauchte er ja nicht zu wissen, was sie für ihn empfand.
Die Tür zum Dachboden knarrte laut. Hier oben war es noch muffiger als im Rest des Hauses. Sally ging hinein, schloss die Tür hinter sich und empfand urplötzlich ein Gefühl von Frieden und Geborgenheit. Es war ein ungewöhnlich warmer Herbst. Der fast volle Mond leuchtete durch die Mansardenfenster.
Sie tastete nach dem Tisch neben der Tür und fand den Leuchter und die Streichhölzer. Sekunden später flammten die Kerzen auf. Das alte Eisenbett stand dort, wo es hingehörte: unter einem der Fenster. Auch das alte Federbett, der Stapel antiker Quilts, die sie heimlich im Haus zusammengesammelt hatte, die vier Kissen und das Regal mit ihren Lieblingsbüchern waren noch da.
Sie kletterte auf das hohe Bett und öffnete das Fenster, um die warme Brise hereinzulassen. Sie blickte auf den Alfa hinab, dessen dunkelgrüner Lack im Mondschein silbrig glänzte, und fragte sich, wo Diamond war. Rasch verdrängte sie den Gedanken wieder. Sie brauchte nicht an Diamond oder Philip Marlowe oder Rhett Butler zu denken. Sie brauchte nur etwas Ruhe und wollte an nichts und niemanden denken. Später, wenn sie sich etwas entspannt und erholt hatte, würde sie sich der Welt wieder stellen. Und Diamond. Und dem Schmerz in ihr. Und der Frage, warum das heiße Wasser noch lief und es unten im Haus fast gar nicht muffig roch. Aber jetzt wollte sie nur die warme Abendluft einatmen und von Happy Ends träumen.
11. KAPITEL
D iamond musste die Dusche gefunden haben. Sally hörte das helle Rauschen in den uralten Leitungen. Dann herrschte wieder
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