Aufruf zur Revolte
in denen Menschen sich den Schwierigkeiten und Schönheiten des gemeinsamen Lebens stellen. Die Wirkung dieser Projekte mag im Ganzen marginal erscheinen. Als Laboratorien der besseren Welt sind sie von unschätzbarer Wichtigkeit.
Auch außerhalb solcher Gemeinschaften und Projekte beginnen Menschen, mit ihrem Potential, mit ihrer Geistigkeit, an einer neuen Gesellschaftsordnung zu arbeiten. Dabei setzen sie große Utopien im Kleinen durchaus um. Das Ziel, gewaltfrei zu leben, ist im Weltmaßstab noch eine Utopie. In vielen Familien ist es eine Realität und die Kinder, die in diesen gewaltfreien Zonen aufwachsen durften, sind die natürliche Hoffnung der Welt.
Experimentierfelder eines solidarischen, radikaldemokratischen Prinzips bleiben aber zwingend prekär, solange die Welt nach Maßgaben einer diktatorischen, imperialen Kapitalherrschaft organisiert bleibt. Dann verzichten wir eben voller Umweltbewusstsein auf die Plastiktüten beim Einkaufen – und die Ölmonopole sorgen dafür, dass wir von der Käseverpackung bis zur Plastikschale für die Erdbeeren und der Plastikfolie rund ums Toastbrot Berge von Plastik in unsere Stoffbeutel stopfen.
Ja, die Politik der kleinen, sinnvollen Schritte wird ausgeglichen durch Riesenschritte auf den Abgrund zu. Es muss einen Sprung in die richtige Richtung geben, um den großen Absturz zu verhindern.
Wenn Systeme sterben, kann sich die Agonie andernfalls über Generationen der Finsternis hinziehen. Die Tarotkarte »Tod« bedeutet eben nicht, wie der Kartenname ja auch mit hinlänglicher Eindeutigkeit ausdrückt: »Neuanfang«. Der Tod kann natürlich das Tor zu einem Neuanfang sein, aber fernab religiöser Fragestellungen wird wohl niemand behaupten wollen, dass ein gelungener Neuanfang garantiert sei, nur weil da jemand stirbt oder gar der Tod selbst einen solchen darstelle.
Der kapitalistische Kolossus, wie wir ihn in der Gegenwart erleben, befindet sich zweifellos in einer tiefen Krise. Aber wenn ein Kolossus fällt, kann er viele unter sich begraben, und der Kapitalismus wehrt sich tapfer und mit allen Mitteln gegen sein drohendes Ende.
Nachdem der Kapitalismus allerdings stets ein nichtkapitalistisches Außen braucht, das er sich als Brennstoff für weiteres Wachstum einverleiben kann, hat er als neues Außen längst unser höchstpersönliches Innen entdeckt, unser Gefühlsleben, unsere Träume und Ängste, die er besetzt, kolonisiert und seiner Verwertungslogik unterwirft.
Genau in diesen Tendenzen treffen sich die Interessen von Facebook und Google einerseits und die der NSA andererseits. Die einen wollen über uns alles wissen, um unsere Daten für das Microtargeting digitaler Werbekunden ideal ausschlachten zu können. Die anderen freuen sich über den Zugriff auf unsere Daten, um uns zuverlässig kontrollieren zu können.
Praktischerweise kann man mit der gleichen Technologie, die unsere Chats und Skypegespräche und E-Mails und SMS und Handytelefonate erfasst und auswertet, auch unliebsame Bürger elegant oder auch brutal erledigen. Für die aus US-Wahlkämpfen bekannte Methode der »Character Assassination« – die Vernichtung von Personen durch die kampagnenförmige Ermordung ihres öffentlichen Charakters – bieten sich bei diesem digitalen Totalzugriff ungeahnte Möglichkeiten.
Der Herr Wecker wird dann im Trommelfeuer allgemeiner moralischer Entrüstung erst einmal beweisen müssen, dass er diese E-Mail, in der er sich, sagen wir: für Solidarität mit Al Kaida oder einen anderen Unsinn einsetzt, in Wahrheit niemals geschrieben hat, … obwohl sie doch von seinem eigenen Email-Account abgesendet wurde.
Wir sind also dabei, nicht nur die Kontrolle über unsere Daten, sondern potentiell auch die über unsere Worte und Taten zu verlieren. Das sollten wir uns klarmachen.
Gerade die andauernde Krise des Systems wird der Mechanismus sein, diese Tendenzen ins Totalitäre zu steigern. Denn natürlich reicht das bisschen Internetprofit von heute bei weitem nicht aus, die Krise des Kapitalismus, die ja vor allem von strukturellen Blockaden in der Sphäre der Produktion herrührt, langfristig zu lösen. Deswegen hält man das Tempo des Wachstums künstlich oben – denn für den Kapitalismus bedeutet Verlangsamung nicht etwa wie für den Bayern ein Mehr an Gemütlichkeit, sondern den Tod – indem man ohne jede Not zerstört oder durcheinanderbringt, was im Grunde genommen, auch so wie es ist, wunderbar funktioniert. Da wird dann ein Baudenkmal von
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