Aufruf zur Revolte
welthistorischer Bedeutung wie der Palast der Republik abgerissen, um beim Neubau eines Barockschlosses eine Milliarde mehr vom Staat Richtung HochTief zu schaufeln.
So werden, um den Ofen des Profits weiter auf Temperatur zu halten, ohne Rücksicht auf die Folgen für die Zukunft alles und alle verfeuert: endliche Ressourcen, die Natur ganzer Landstriche, die Gesundheit halber Bevölkerungen, Bildungssysteme, Baudenkmale, Altstädte, Stadtparks, Berge und Wälder, geschundene und gequälte Tiere, die allgemeine Gesundheitsversorgung, Stromnetze, Wasserrechte, Infrastrukturen jeglicher Art. Alles, was zu Geld gemacht werden kann, wird auch zu Geld gemacht.
Jacques Attali, der langjährige Berater von Francois Mitterand, beschreibt in seinem Vorwort zu »Die Welt von Morgen« die dystopischen Perspektiven dieses Vorgangs:
Wenn wir diese Entwicklung nicht aufhalten, wird das Geld sich am Ende von allem entledigt haben, was ihm irgendwie im Weg steht, einschließlich der Staaten, die Schritt für Schritt von ihm zerstört werden, nicht zuletzt die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn dann das Geld schließlich als einziges Gesetz die Welt regiert, wird der Markt ein uneinnehmbares, die ganze Welt umfassendes Hyperimperium bilden, welches neue Marktressourcen und neue Formen der Entfremdung, extreme Armut und gigantische Vermögen schafft, eine Welt, in der die Natur ordentlich geschröpft und alles privatisiert sein wird, Streitkräfte, Polizei und Justiz inbegriffen. Der Mensch wird sich Prothesen schaffen, bevor er selbst zum Artefakt wird, das man serienmäßig an Konsumenten verkauft, die selbst zu Artefakten werden. Schließlich wird auch der Mensch verschwinden, wenn er für seine eigenen Schöpfungen überflüssig geworden ist.
Jacques Attali, Die Welt von Morgen, S. 8.
Wird es zu einer globalen Revolte, die diesem Irrsinn ein Ende setzt, kommen? Es gibt gewisse Anzeichen dafür. Seit der ersten ägyptischen Revolution gegen Mubarak haben wir in Spanien und Portugal, Chile, Israel, der Türkei, Brasilien und anderen Ländern eine Serie von Protestwellen erlebt. Diese haben jeweils ihre spezifischen Problematiken und Potentiale. In Brasilien drohte die Protestbewegung zwischenzeitlich durch nationalistische Elemente in eine bedenkliche Richtung abzugleiten. Die Revolution in Ägypten ist in eine äußerst gefährliche Lage geraten.
Aber die Ägypter sind aufgestanden! Sie haben es gewagt! Sie haben bewiesen, dass Revolutionen im 21. Jahrhundert möglich sind. Faszinierend ist, wie die verschiedenen Bewegungen seither das paradigmatische Modell des Tahrir Platzes übertragen und ausgebaut haben.
Diese besetzten Plätze gegen kriegsmäßig vorgehende Polizeieinheiten zu halten, ist bisher nur phasenweise gelungen. Aber diese Tage oder Wochen der Protestlager sind aus der kranken Logik des Imperiums herausgesprengte Gegenwelten, in denen sich ein neues, aktiv handelndes Subjekt historischer Veränderung findet und formiert. Es ist vorstellbar, dass diese Platzbesetzungen die Vorübungen für eine Pariser Kommune des 21. Jahrhunderts sind.
Wie diese aussehen und organisiert sein könnte, vermag niemand vorauszusagen, denn sie wird dann die spontane Frucht der revoltierenden Menge sein. Aber wir können die Gestalt dieses vielköpfigen Wesens bereits erahnen in den Gesichtern vom Syntagma Platz, dem Tahrir Platz, der Puerto del Sol, … dem Marienplatz?
Die Lage in Deutschland erscheint nicht gerade vielversprechend. Die Gewerkschaften haben es vermocht, fünf Jahre Finanzkrise samt »Bankenrettung« zu erdulden, ohne eine einzige nennenswerte Massenaktion durchzuführen. Occupy war in Deutschland eine kurzlebige und etwas obskure Erscheinung. Proteste gegen die Bankenmacht in Frankfurt am Main werden regelmäßig verboten und/oder polizeilich angegriffen. Das Projekt Linkspartei ist durch mediales Dauerfeuer und innere Streitigkeiten von betörender Verantwortungslosigkeit stark beschädigt worden. Der politische Verkaufsschlager hierzulande hieß nicht »Empört Euch«, sondern »Deutschland schafft sich ab«.
Nun sind wir beide gewissermaßen Funktionäre der Hoffnung. Mut zu machen, aufzumuntern, Kraft zu spenden und auch die heilende Verarbeitung von Frust und Trauer zu unterstützen – all das gehört zu unserem Beruf. Als Künstler sind wir aber auch unserer Intuition ausgeliefert und der Aufrichtigkeit verpflichtet. Die Wahrheit ist, dass unsere Intuition immer lauter Alarm schlägt.
Wir beide
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