Aufruf zur Revolte
haben uns das in einer denkwürdigen, coming-out-artigen Situation in der Künstlergarderobe bei einem Konzert in der Schweiz gestanden. Wir haben, beide noch erfüllt von dem Konzerterlebnis, über die immer wieder gern unterstellte Aussichtslosigkeit des Künstlers gesprochen, überhaupt irgendetwas zu bewirken. Aber wir haben erleben dürfen, dass man so nutzlos ja doch nicht ist als Künstler, dass man vielleicht nicht die Weltgeschichte bewegen kann, nicht die Massen, aber einzelne Individuen mit ähnlichen Niederlagen und Enttäuschungen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Wir haben Menschen gespürt, die sich selber durch Wort und Musik wieder neu entdecken.
Das zu erleben ist unendlich beglückend, aber in diese Künstlergarderobe in Basel, im März 2013, senkte sich eine Stimmung wie am Vorabend einer Katastrophe, wie Wien, 1913 oder Berlin, 1928. Wir sprachen über Kurt Tucholsky, der inmitten des großen Tanzens und Fressens und Kaufens und Kicherns der vermeintlich goldenen Zwanziger das drohende Unheil witterte und warnte und mahnte.
Natürlich: Uns wird von spirituellen Menschen und auch von knallharten Esoterikern immer wieder beschwichtigend erklärt, die Menschen müssten eben vorher den Frieden in sich finden, bevor sie die Welt befrieden könnten. Aber das spirituelle Innere und das gesellschaftliche, politische Außen trennt keine chinesische Mauer. Beides entfaltet gestalterische Kräfte in jedem Einzelnen von uns. Eine Klimakatastrophe lässt sich nicht wegmeditieren, und wer definitiv nichts zu fressen hat, ist nicht in erster Linie an Verinnerlichung interessiert, sondern an Wasser und Nahrung.
Noch an diesem Abend in dieser Schweizer Garderobe haben wir entschieden, dass es an der Zeit sei, diesen Aufruf zur Revolte zusammen zu schreiben.
Denn wenn man alle Faktoren zusammenrechnet, die ökologische Situation, die wirtschaftliche Lage, den gigantischen, präventiv ausgebauten Repressionsapparat und auch, ja, leider, die zunehmende Verrohung und Entsolidarisierung der Menschen untereinander, dann muss einem Himmelangst werden.
Dazu kommt das weltumspannende Netz von Geheimdiensten außer Rand und Band, und wir stellen uns die Frage, ob das hartnäckige Ausbleiben der Weltrevolution bei fortschreitender, krisenhafter Globalisierung des Kapitals nicht einen Weltputsch möglich macht, gewissermaßen einen elften September für Fortgeschrittene.
Hirngespinste? Das wäre zu hoffen. Wir beide jedenfalls haben Angst vor einer Zukunft, die uns droht, wenn die globale Revolte ausbleibt.
Im europäischen Süden und in Nordafrika hat diese Revolte bereits begonnen. Damit sie gelingt, muss jetzt auch in Deutschland etwas passieren. Wer tatenlos zuschaut, wie die Griechen sich gegen die Angriffe nicht zuletzt in Deutschland stationierter Konzerne abkämpfen, verrät am Ende sich selbst so sehr wie unsere griechischen Schwestern und Brüder.
Immerhin hatten die Enthüllungen Edward Snowdens einen kuriosen Effekt auf die Kommunikation der Menge. Zuvor war eine unausgesprochene Vorsicht, die berüchtigte Schere im Kopf, speziell auf Facebook überdeutlich spürbar, weil man ja insgeheim ohnehin vermutet hat, dass dieses Netzwerk massiv überwacht wird.
Aber etwas vermuten und etwas wissen, ist ein großer Unterschied. Man muss das am nackten Körper brennende vietnamesische Mädchen aus dem Dorf laufen sehen, um zu verstehen, was Napalm bedeutet. Und wir mussten das grundanständige Gesicht Edward Snowdens sehen, um endlich wieder zu lernen, was das heißt:
Anstand! Zivilcourage! Bürgerpflicht!
Seit Snowden scheint der Würgegriff der Angst aufzubrechen. Immer mehr Menschen kommunizieren nach dem Motto: »Bist Du restlos archiviert, schreibt es sich ganz ungeniert«.
Auch in den deutschen Medien kann man von einer Situation vor und nach Edward Snowdens Enthüllungen sprechen. Viele Journalisten haben erkannt, dass diese ausufernden Praktiken staatlicher Kontrolle die Grundlagen ihres Berufes bedrohen. Prompt erleben wir in Bezug auf den Überwachungsskandal einen wachen und selbstbewussten Journalismus, wie wir ihn oft vermisst haben. Die breite Solidarität der Branche mit dem fabelhaft mutigen Glenn Greenwald und dem englischen Guardian ist beispielhaft.
Diese Besinnung auf das Berufsethos des Journalisten kommt zur rechten Zeit, denn offen und laut zu sagen, was ist, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Revolte. Nur gibt es bekanntlich nichts Gutes, außer man tut es und Missstände werden nicht
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