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Aufruf zur Revolte

Aufruf zur Revolte

Titel: Aufruf zur Revolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konstantin Wecker , Prinz Chaos II.
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getroffen und dann gehandelt. Alleine zu sein und machtlos zu sein, ist durchaus nicht dasselbe.
    Auch der schweigend anklagende »Stehende Mann« vom Taksim-Platz hat uns bewiesen, welche moralische Kraft ein einzelner Mensch entfalten kann, der im richtigen Moment die Logik einer Situation versteht und mit dem Mut, das Unvorhersehbare entschlossen auszuführen, durchbricht.
    Nun haben wir mit dieser Schrift den Bereich der Kunst bisher nicht verlassen, und wir werden es nicht tun, indem wir uns zu präzisen, taktischen Handlungsanweisungen versteigen. Entscheide Du selbst, was Dein Schritt ist, in die globale Revolte einzutreten. Was Du Dir zutraust, was Deine persönliche Farbe und Form der Revolte ist. Revoltiere nach Deiner Melodie, in Deiner Tonart.
    Wir brauchen und wollen auch – und hier widersprechen wir entschieden dem anderweitig geschätzten Slavoj Žižek – keine charismatischen Führer an der Spitze einer Bewegung. Wir sind von der Notwendigkeit einer wirkungsvollen Organisation der Revolte überzeugt, aber wir vertrauen und setzen mit Antonio Negri auf die Intelligenz der Menge, auf die Selbstorganisation des Schwarms, auf die Macht derer, die sich selbst erkannt und aus freien Stücken miteinander verbündet haben.
    Es geht eben nicht mehr darum, dass die Einzelnen in einem großen Ganzen vereinheitlicht werden und ihre eigenen Ideen, Geistesblitze und ihre Kreativität einem fertigen Weltbild unterordnen. Wir können viele werden und dabei einzelne bleiben, die mit all ihrer Eigenständigkeit, Verrücktheit, ja, mit ihrem individuellen Wahnsinn dazu beitragen, die Idee einer wirklichen Demokratie immer wieder neu entstehen zu lassen, selbst zu gestalten.
    Wir träumen und streiten für eine aktive Bürgergesellschaft, für eine Bewegung freier, selbstbestimmter Menschen für eine freie, selbstbestimmte Menschheit! Die Zeit der Propheten, Führer und Tribunen liegt hinter uns. Wir wünschen auch keine blutige Revolution und wollen sogar dieses ungeliebte eine Prozent an der Spitze der globalen Apartheid nicht an den Laternenpfählen aufknüpfen. Wir ersehnen eine Revolution der Liebe, eine zärtliche Revolte.
    Nein, wir haben mit dieser Schrift den Bereich der Kunst nicht verlassen. Dass viele unserer Kolleginnen und Kollegen und das breite Publikum von dieser Rolle der Kunst schon kaum noch etwas ahnen, geht uns nichts an. Wir haben getan und gedenken weiterhin zu tun, was seit jeher das Recht und die Pflicht des Künstlers war: Wir haben der kulturfeindlichen Verkommenheit unserer irrfahrenden Zeit ein längst überfälliges »J’accuse!« entgegengeschleudert, unser zorniges: »Ich klage an!«
    Wir ergreifen Partei, wo Parteien versagen. Auf den »Luxus der Hoffnungslosigkeit«, wie Fulbert Steffensky es genannt hat, verzichten wir dankend. Aber nicht auf den Zorn, und wir bekennen uns mit Steffensky zur Voreingenommenheit, denn:
    Es gibt eine unerlässliche Voreingenommenheit, die die Augen öffnet. Wenn ich nicht voreingenommen bin von dem Wunsch nach Gerechtigkeit, dann nehme ich das Leiden der Gequälten nicht einmal wahr. Voreingenommenheit ist die Bildung des Herzens, die uns das Recht der Armen vermissen lässt. Ein Urteil zu haben ist nicht nur eine Sache des klugen Verstandes und der exakten Schlüsse, es ist eine Sache des gebildeten Herzens. Das gebildete Herz ist nicht neutral, es fährt auf, wenn es die Wahrheit verraten sieht. Der Zorn ist eines der Charismen des Herzens.
    Dorothee Sölle/Fulbert Steffensky, Wider den Luxus
    der Hoffnungslosigkeit, S. 12.
    Wahrlich: Wir leben in gefährlichen Zeiten voller Niedertracht und einer ausgesprochen verdächtigen Art öffentlicher Harmlosigkeiten. Die globale Diktatur, vor der wir in diesem Essay warnen, ist noch nicht ganz ausgereift. Sie übt noch. Aber wer ihren kalten Atem spürt, der duckt sich schon präventiv.
    Duckt Euch nicht! Steht auf! Stellt Euch in diesem Sinne einseitig und voreingenommen und zornig auf den Standpunkt des gemeinsamen Lebens und der Liebe, gegen die Energie der Zerstörung und des Todes. Und lasst uns das um Himmels willen schnell tun, denn die Frist, die uns bleibt, das drohende Unheil abzuwenden, ist knapp bemessen.
    Dass die Risiken, den Schritt zur Revolte jetzt zu wagen, erheblich sind, ist uns vollauf bewusst. Haben wir die Revolte einmal begonnen, wird jahrelanger Atem nötig sein, um diese Welt vom zermarterten Kopf auf die tanzenden Füße zu stellen.
    Es wird Rückschläge geben. Wir werden

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