Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
was sie zu Mr. Jenkyn sagen könnte, wenn sie ihn je wiedertreffen sollte.
    Sie stellte mit Überraschung fest, wie sehr Mr. Pomfrets einfältiger Heiratsantrag ihre Stimmung gehoben hatte. Eigentlich hätte sie sich gründlich schämen müssen. Sie hätte sich Vorwürfe machen müssen, weil sie nicht gesehen hatte, was in Mr. Pomfret vorging, und nichts dagegen unternommen hatte. Warum nicht? Wohl einfach deshalb, weil ihr eine solche Möglichkeit nie in den Sinn gekommen war. Sie hatte es für ausgemacht gehalten, daß sie nie mehr einem Mann den Kopf verdrehen könnte, außer dem exzentrischen Peter Wimsey. Und für ihn war sie natürlich nichts weiter als sein Geschöpf und der Spiegel seiner Großherzigkeit. Reggie Pomfrets Schwärmerei, so lächerlich sie sein mochte, war wenigstens aufrichtig; er war kein König Kophetua; ihm mußte sie nicht demütig dafür dankbar sein, daß er freundlicherweise von ihr Kenntnis nahm. Und dies war immerhin ein erfreulicher Gedanke. Mögen wir noch so laut unsere Unwürdigkeit beteuern, kaum einen von uns kränkt es wirklich, dieser Beteuerung von uneigennütziger Seite widersprochen zu hören.
    In dieser unbußfertigen Stimmung kam sie beim College an und ließ sich durch die Seitentür ein. In der Wohnung der Rektorin brannte Licht, und jemand stand am Tor und sah hinaus. Als sie Harriets Schritte hörte, rief diese Person mit der Stimme der Dekanin: «Sind Sie das, Miss Vane? Die Rektorin möchte Sie sprechen.»
    «Was gibt’s denn, Miss Martin?»
    Die Dekanin nahm Harriet beim Arm.
    «Miss Newland ist nicht nach Hause gekommen. Sie haben sie nicht irgendwo gesehen?»
    «Nein – ich war im Somerville. Es ist erst kurz nach zwölf. Wahrscheinlich kommt sie noch. Sie glauben doch nicht –?»
    «Wir wissen nicht, was wir glauben sollen. Es ist nicht Miss Newlands Art, ohne Ausgang fortzugehen. Und wir haben allerlei gefunden.»
    Sie führte Harriet zur Rektorin ins Wohnzimmer. Dr. Baring saß an ihrem Schreibtisch; ihr hübsches Gesicht blickte streng und ernst. Vor ihr stand Miss Haydock, die Hände in den Taschen ihres Morgenmantels, und sah erregt und wütend aus. Miss Shaw saß wie ein Häuflein Elend in einer Sofaecke und weinte; Miss Millbanks, die Studentenschaftsvorsitzende, stand halb angstvoll, halb trotzig im Hintergrund. Als Harriet und die Dekanin eintraten, sahen alle hoffnungsvoll zur Tür und wieder weg.
    «Miss Vane», begann die Rektorin, «wie die Dekanin mir sagt, haben Sie Miss Newland bei der Maifeier auf dem Magdalen-Turm gesehen, wo sie sich merkwürdig benahm. Können Sie mir Genaueres darüber sagen?»
    Harriet erzählte noch einmal ihre Geschichte.
    «Es tut mir leid», schloß sie, «daß ich sie damals nicht nach ihrem Namen gefragt habe; aber ich habe sie nicht als eine von unsern Studentinnen erkannt. Genauer gesagt, ich kann mich nicht erinnern, sie überhaupt je gesehen zu haben, bis die Dekanin sie mir gestern zeigte.»
    «Das stimmt», sagte Miss Martin. «Es überrascht mich nicht, daß sie Ihnen nicht bekannt war. Sie ist sehr still und schüchtern und kommt selten in den Speisesaal oder läßt sich sonst irgendwo blicken. Ich glaube, sie arbeitet fast den ganzen Tag in der Radcliffe Camera. Als Sie mir den Vorfall vom 1. Mai berichteten, habe ich natürlich sofort dafür gesorgt, daß jemand ein Auge auf sie wirft. Ich habe Dr. Baring und Miss Shaw informiert und Miss Millbanks gefragt, ob eine aus dem dritten Jahrgang etwas davon gemerkt habe, daß sie in Schwierigkeiten sei.»
    «Ich verstehe das nicht», heulte Miss Shaw. «Warum ist sie damit nur nicht zu mir gekommen? Ich rede meinen Studentinnen doch immer zu, sich mir ganz anzuvertrauen. Immer wieder habe ich sie gefragt. Ich hatte wirklich geglaubt, daß sie mich gerne mag …»
    Sie schniefte mutlos in ein feuchtes Taschentuch.
    «Ich wußte, daß irgendwas los war», bekannte Miss Haydock geradeheraus. «Aber ich wußte nicht, was. Je mehr man sie fragte, desto weniger sagte sie einem – also habe ich nicht viel gefragt.»
    «Hat sie keine Freundinnen?» fragte Harriet.
    «Ich dachte, sie hätte mich als ihre Freundin angesehen», jammerte Miss Shaw.
    «Sie hat keine Freundschaften geschlossen», sagte Miss Haydock.
    «Sie ist ein sehr reserviertes Mädchen», erklärte die Dekanin.
    «Ich glaube nicht, daß jemand viel aus ihr herausholen konnte. Ich jedenfalls nicht.»
    «Aber was ist denn nun genau passiert?» fragte Harriet.
    «Nachdem Miss Martin mit Miss

Weitere Kostenlose Bücher