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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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und nicht in Form sei und auch nicht viel für Tennis übrig habe. Schließlich hatte man zu arbeiten (Lefanu, Zwischen Wind und Wellen und die Geschichte der Prosodie machten zusammen ein volles Programm aus) und konnte nicht die ganze Zeit nur mit Studenten herumbummeln.
    Am Abend nach ihrer offiziellen Bekanntschaft mit Miss Newland lief Harriet jedoch aus purem Zufall Mr. Pomfret über den Weg. Sie hatte eine ehemalige Mitstudentin besucht, die jetzt zum Kollegium des Somerville College gehörte, und überquerte auf dem Heimweg gegen Mitternacht gerade die St. Giles Street, als ihr eine Gruppe junger Männer im Abendanzug auffiel, die um einen der Bäume an dieser berühmten Straße herumstanden. Von Natur aus neugierig, ging Harriet hin, um zu sehen, was da los war. Die Straße war bis auf den üblichen Durchgangsverkehr so gut wie leer. Die oberen Äste des Baumes waren heftig in Bewegung, und Harriet, die am äußeren Rand der kleinen Gruppe darunter stand, entnahm den aufgeschnappten Bemerkungen, daß irgendwer es infolge einer Wette unternommen hatte, sämtliche Bäume in der St. Giles zu besteigen, ohne vom Proktor erwischt zu werden. Da die Zahl der Bäume groß und der Platz öffentlich war, hielt Harriet die Wette für ziemlich gewagt. Sie wollte sich gerade abwenden, um die Straße in Richtung «Lamm und Fahne» zu überqueren, als ein anderer junger Mann, der offenbar Wache gestanden hatte, atemlos ankam, um zu verkünden, daß der Proktor soeben um die Ecke Broad Street biege. Der Kletterer kam eiligst herunter, und die Gruppe zerstreute sich sofort in alle Winde – einige rannten an ihr vorbei, andere flüchteten in Seitenstraßen, und ein paar ganz Kühne suchten die kleine Einfriedung, Fender genannt, zu gewinnen, wo sie (da dieses Grundstück nicht der Stadt, sondern dem St. John’s College gehörte) mit dem Proktor nach Herzenslust Katz und Maus spielen konnten. Einer der jungen Männer, die in diese Richtung flitzten, kam dicht an Harriet vorbei, hielt mit einem Überraschungsruf inne und kam zu ihr.
    «Ach, Sie sind’s!» rief Mr. Pomfret begeistert.
    «Schon wieder ich», sagte Harriet. «Sind Sie nachts immer ohne Ihren Talar unterwegs?»
    «So gut wie immer», antwortete Mr. Pomfret, indem er Gleichschritt mit ihr aufnahm. «Komisch, daß Sie mich jedesmal dabei erwischen. Und was für ein Glück, nicht? … Sagen Sie mal, Sie gehen mir in diesem Trimester aus dem Weg. Warum?»
    «Aber nicht doch», sagte Harriet. «Ich habe nur ziemlich zu tun.»
    «Doch, Sie meiden mich», erklärte Mr. Pomfret. «Ich weiß es. Es ist wahrscheinlich lächerlich von mir, anzunehmen, daß Sie sich für mich interessieren könnten. Ich glaube, Sie denken nicht einmal an mich. Wahrscheinlich verachten Sie mich.»
    «Seien Sie doch nicht albern, Mr. Pomfret. Natürlich tue ich nichts dergleichen. Ich mag Sie sehr, aber –»
    «Sie mögen mich? … Warum darf ich Sie dann nie sehen? Hören Sie, ich muß Sie sehen. Ich muß Ihnen nämlich etwas sagen. Wann darf ich mal zu Ihnen kommen und mit Ihnen reden?»
    «Worüber?» fragte Harriet plötzlich mit einem ganz dummen Gefühl.
    «Worüber? Mein Gott, seien Sie doch nicht so abweisend. Hören Sie, Harriet – Nein, halt, Sie müssen mir zuhören. Liebste, wunderbare Harriet –»
    «Bitte, Mr. Pomfret!»
    Aber Mr. Pomfret war nicht mehr zu halten. Seine Bewunderung war mit ihm durchgegangen, und Harriet stand ohne Fluchtmöglichkeit im Schatten der großen Kastanie vor dem «Lamm und Fahne» und mußte sich die leidenschaftlichste Liebeserklärung anhören, mit der je ein junger Mann von Anfang Zwanzig eine Frau, die ihm an Jahren und Erfahrung weit überlegen war, überschüttet hatte.
    «Es tut mir furchtbar leid, Mr. Pomfret. Ich hätte nie gedacht – Nein, wirklich, das ist völlig unmöglich. Ich bin mindestens zehn Jahre älter als Sie. Und außerdem –»
    «Was macht das schon?» Mit einer ebenso großspurigen wie unbeholfenen Geste wischte Mr. Pomfret den Altersunterschied hinweg und fuhr in seinem Wortschwall fort, den Harriet, wütend über sich und ihn, nicht eindämmen konnte. Er liebe sie, er bete sie an, er sei todunglücklich, er könne vor lauter Gedanken an sie nicht mehr arbeiten und sich nicht mehr amüsieren, und wenn sie ihn abweise, wisse er nicht, was er mit sich anfangen solle, sie müsse doch gesehen haben, sie müsse doch erkannt haben – er wolle sie vor der ganzen Welt beschützen – Mr. Pomfret war einsneunzig

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