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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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und zu einmal zuhören muß», meinte sie.
    Miss Hillyard stimmte ihr geistesabwesend zu. Nach einer kurzen Pause, in der das Abendessen ohne Zwischenfälle weiter seinen Gang nahm, sagte sie:
    «Ihr Bekannter hat mir gesagt, er könne mir Zugang zu einigen Privatsammlungen historischer Dokumente in Florenz verschaffen. Glauben Sie, daß er das ernst meint?»
    «Wenn er es sagt, dürfen Sie sicher sein, daß er es kann und wird.»
    «Das nenne ich eine Empfehlung», sagte Miss Hillyard. «Freut mich sehr zu hören.»
    Inzwischen hatte die Rektorin ihre Beute gestellt und unterhielt sich mit leiser, ernster Stimme mit Peter. Er hörte ihr aufmerksam zu, während er sich einen Apfel schälte und die spiralige Schale langsam über seine Finger glitt. Die Rektorin schloß mit einer Frage, und er schüttelte den Kopf.
    «Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich würde sagen, da besteht nicht die allermindeste Hoffnung.»
    Harriet hätte gern gewußt, ob endlich das Gespräch auf die Giftspritze gekommen war; aber dann sagte er:
    «Vor dreihundert Jahren war das verhältnismäßig unwichtig. Aber jetzt im Zeitalter der nationalen Selbstverwirklichung, der kolonialen Ausdehnung, der barbarischen Invasionen und des Niedergangs und Verfalls, alles dicht zusammengedrängt in Raum und Zeit, alle Welt gleichermaßen bewaffnet mit Giftgas, das Ganze äußerlich als zivilisatorischer Fortschritt getarnt – in so einer Zeit sind Prinzipien gefährlicher als Leidenschaften. Es ist ungewöhnlich leicht geworden, Menschen in großen Massen umzubringen, und das erste, was ein Prinzip tut, wenn es wirklich ein Prinzip ist: Es bringt jemanden um.»
    «‹Die eigentliche Tragödie ist nicht der Konflikt des Guten mit dem Bösen, sondern des Guten mit dem Guten.› Das bedeutet also ein Problem, für das es keine Lösung gibt.»
    «Ja; und das muß ein ordnungsliebendes Gemüt natürlich grämen. Man schickt sich entweder in das Unvermeidliche und spielt mit, dann ist man ein blutdürstiger Progressiver; oder man versucht Zeit zu gewinnen, dann ist man ein blutdürstiger Reaktionär. Aber wenn Blut das einzige Argument ist, sind alle Argumente letztendlich für die Katz.»
    «Manchmal frage ich mich», erwiderte die Rektorin, «ob mit Zeitgewinn überhaupt etwas zu gewinnen ist.»
    «Nun – wenn man Briefe lange genug unbeantwortet liegenläßt, beantworten manche sich von selbst. Niemand kann Trojas Fall verhindern, aber irgendein langweiliger, gewissenhafter Mensch bringt es vielleicht fertig, vorher die Laren und Penaten hinauszuschmuggeln – selbst auf die Gefahr hin, daß man ihm den Beinamen ‹Der Fromme› gibt.»
    «Von den Universitäten wird immer verlangt, in der Vorhut des Fortschritts zu marschieren.»
    «Aber besungen werden stets die Schlachten, die von der Nachhut geschlagen werden – siehe Roncevaux oder die Thermopylen.»
    «Na schön», meinte die Rektorin lachend, «dann wollen wir mit fliegenden Fahnen untergehen und uns wenigstens besingen lassen.»
    Sie blickte gebieterisch über die Hohe Tafel, erhob sich und schritt würdevoll hinaus. Peter drückte sich höflich an die holzgetäfelte Wand, während die Professorinnen an ihm vorüberschritten, und gelangte gerade noch rechtzeitig an den Rand des Podiums, um Miss Shaws Schal aufzuheben, der ihr von den Schultern rutschte. Harriet ging zwischen Miss Martin und Miss de Vine die Treppe hinunter. Miss de Vine bemerkte:
    «Ich muß sagen, Sie haben Mut.»
    «Warum?» antwortete Harriet vergnügt. «Weil ich meine Freunde hierher mitbringe und dem Verhör aussetze?»
    «Unsinn», mischte die Dekanin sich ein. «Wir haben uns doch tadellos benommen. Daniel wurde nicht gefressen – im Gegenteil, einmal hat er sogar den Löwen gebissen. War das übrigens echt?»
    «Das mit der Unmusikalität? Wahrscheinlich ein bißchen echter, als er uns glauben machen wollte.»
    «Wird er den ganzen Abend solche Fallen für uns aufstellen?»
    Harriet hielt sich für einen Augenblick das Verquere an der ganzen Situation vor Augen. Wieder einmal empfand sie Wimsey als einen gefährlichen Fremdling und sah sich selbst auf der Seite der Frauen, die mit so merkwürdigem Großmut den Inquisitor bei sich aufnahmen. Sie sagte jedoch:
    «Wenn er das tut, wird er uns auf entgegenkommendste Weise den Mechanismus erklären.»
    «Nachdem man hineingetreten ist. Sehr tröstlich.»
    «Das ist ein Mann», sagte Miss de Vine, die oberflächlichen Bemerkungen wegwischend, «der imstande ist, sich seinen

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