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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ihrem kleinen Sohn erzählte; mitten in die Geschichte hinein erhob sich Miss Hillyard, die in Hörweite gesessen hatte, demonstrativ von ihrem Platz, drückte in einem Aschenbecher ihre Zigarette aus und begab sich langsam, gleichsam widerstrebend, zu einem Platz am Fenster, in dessen Nähe noch immer Miss Barton stand. Harriet sah sie ihren zornigen, glimmenden Blick auf Peters gesenkten Kopf richten, sich losreißen, um kurz über den Hof zu blicken, und wieder hinschauen. Miss Edwards, die ganz in der Nähe, ein Stückchen von Harriet, in einem niedrigen Sessel saß, hatte die Hände fast wie ein Mann auf die Knie gestützt und saß vornübergebeugt, als ob sie auf etwas wartete. Miss Pyke, die noch stand, zündete sich eine Zigarette an und schien auf eine Gelegenheit zu lauern, Peters Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; sie wirkte neugierig und interessiert und schien sich wohler in ihrer Haut zu fühlen als die meisten anderen. Die Dekanin kauerte auf einem Hocker und hörte offensichtlich zu, was Peter und Miss Barton redeten. In Wirklichkeit hörten sie ja alle zu, aber zugleich versuchten die meisten, so zu tun, als ob er nur ein ganz normaler Gast sei – kein Feind – kein Spion. Sie wollten wenigstens verhindern, daß er auch noch zum Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde, nachdem er bereits im Mittelpunkt ihrer aller Gedanken stand.
    Die Rektorin saß in einem tiefen Sessel beim Kamin und half keiner Seite. Die sporadischen Unterhaltungen gerieten ins Stocken, starben eine um die andere ab und ließen nur noch den einen Tenor allein weitertönen wie ein Soloinstrument bei der Kadenz, wenn das Orchester verstummt ist:
    «Die Hinrichtung eines Schuldigen ist nicht schön – aber nicht annähernd so unschön wie das Abschlachten Unschuldiger. Wenn Sie schon mein Blut wollen, erlauben Sie, daß ich ihnen eine zweckdienlichere Waffe reiche.»
    Er schaute sich um, und als er sah, daß außer Miss Pyke und ihnen selbst jetzt alle saßen und schwiegen, machte er eine kurze, fragende Pause, die wie Höflichkeit aussah, von Harriet aber im stillen als «gutes Theater» eingestuft wurde.
    Miss Pyke ging voran zu einem großen Sofa unweit von Miss Hillyards Fensterplatz und meinte, während sie in einer Ecke Platz nahm:
    «Meinen Sie die Opfer des Mörders?»
    «Nein», sagte Peter, «ich sprach von meinen Opfern.»
    Er setzte sich zwischen Miss Pyke und Miss Barton und fuhr in angenehmem Plauderton fort:
    «Zum Beispiel habe ich einmal herausbekommen, daß eine junge Frau eine alte Frau ihres Geldes wegen umgebracht hatte. Es änderte gar nicht viel: Die alte Frau wäre sowieso bald gestorben, und die junge Frau hätte (was sie allerdings nicht wußte) ihr Geld in jedem Falle geerbt. Kaum fing ich an, mich einzumischen, schritt die junge Frau erneut zur Tat, ermordete zwei Unschuldige, um ihre Spuren zu verwischen, und versuchte drei weitere zu ermorden. Schließlich brachte sie sich selbst um. Hätte ich die Finger davon gelassen, wären statt vier Menschen vielleicht nur einer gestorben.»
    «Großer Gott!» rief Miss Pyke. «Aber dann wäre diese Frau weiter frei herumgelaufen.»
    «O ja. Sie war kein angenehmer Mensch und hatte einen häßlichen Einfluß auf gewisse Leute. Aber wer hat nun die andern beiden Menschen getötet – sie oder die Gesellschaft?»
    «Sie wurden ermordet», sagte Miss Barton, «wegen der Angst der Mörderin vor der Todesstrafe. Wenn diese unglückselige Frau in ärztliche Behandlung gekommen wäre, würden sie selbst und die andern heute noch leben.»
    «Ich sagte Ihnen ja, daß das eine gute Waffe ist. Aber so einfach ist es doch nicht. Wenn sie die andern nicht getötet hätte, wären wir ihr wahrscheinlich nie auf die Spur gekommen, und statt in ärztliche Behandlung zu kommen, lebte sie heute herrlich und in Freuden – und könnte nebenbei noch den einen oder anderen Menschen charakterlich verderben; falls man auch das als einen wichtigen Gesichtspunkt erachtet.»
    «Ich glaube, Sie wollen damit sagen», mischte die Rektorin sich ein, während Miss Barton sich kampflustig mit diesem Problem auseinandersetzte, «daß die unschuldigen Opfer für die Gesellschaft gestorben sind, also einem sozialen Prinzip geopfert wurden.»
    « Ihrem sozialen Prinzip zumindest», sagte Miss Barton.
    «Danke. Ich fürchtete schon, Sie würden sagen, meiner Neugier.»
    «Ich hätte es womöglich gesagt», gab Miss Barton ehrlich zu.
    «Aber da Sie sich auf ein Prinzip berufen, bleiben wir

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