Aufruhr in Oxford
anderen ihr Wohlergehen zu neiden.
ROBERT BURTON
Es heißt, Liebe und Husten könne man nicht verheimlichen. Auch zweiunddreißig übergroße elfenbeinerne Schachfiguren zu verheimlichen ist nicht leicht, sofern einer nicht so unmenschlich ist, sie in ihre Mumiengewänder gehüllt zwischen den sechs Wänden ihres hölzernen Sarkophags in Frieden ruhen zu lassen. Aber was nützt es einem, zu bekommen, was das Herz begehrt, wenn man es nicht in die Hand nehmen und sich daran freuen, es seinen Freunden zeigen und eine Anthologie des Neides und der Bewunderung sammeln kann? Mochten auch die Folgerungen, die man hinsichtlich des Gebers ziehen würde, noch so ärgerlich sein – und wen ging das schließlich etwas an? –, wußte Harriet doch, daß sie ihr Geschenk entweder vorzeigen oder in ihrer einsamen Freude platzen mußte. Also raffte sie ihre ganze Kühnheit zusammen und ließ nach dem Abendessen ihre Truppen ungeniert im Dozentenzimmer aufmarschieren, wo sie, von den Professorinnen eifrig unterstützt, auf dem Tisch Aufstellung nahmen.
«Aber wo wollen Sie so was denn aufbewahren?» fragte die Dekanin, nachdem alle gebührend die feine Schnitzarbeit bewundert und die Figuren in die Hand genommen und die verzwickten Gebilde aus konzentrischen Kügelchen von allen Seiten betrachtet hatten. «Sie können sie ja nicht einfach in der Kiste lassen. Sehen Sie sich doch nur mal diese zerbrechlichen kleinen Speere und das alles an, und die Kronen der Könige. So etwas gehört in eine Vitrine gestellt.»
«Ich weiß», sagte Harriet. «Es sieht mir wieder einmal ähnlich, mir etwas zu wünschen, womit man gar nichts anfangen kann. Ich werde sie wohl alle wieder einwickeln müssen.»
«Aber dann können Sie sich auch nicht mehr an ihnen freuen», sagte Miss Chilperic. «Wenn sie mir gehörten, könnte ich sie keinen Moment mehr aus den Augen lassen.»
«Sie können eine Vitrine haben, wenn Sie wollen», meinte Miss Edwards. «Aus dem Naturwissenschaftlichen Hörsaal.»
«Das ist die Idee», sagte Miss Lydgate. «Aber wie ist das denn mit den Stiftungsauflagen? Ich meine, diese Vitrinen –»
«Ach was, Stiftung!» rief die Dekanin. «Man wird sich doch mal für ein, zwei Wochen etwas ausleihen dürfen. Wir können ein paar von diesen häßlichen Gesteinsproben zusammenwerfen und eine der kleinen Vitrinen in Ihr Zimmer stellen lassen.»
«Natürlich», sagte Miss Edwards. «Ich veranlasse das.»
«Danke», sagte Harriet «Das wäre sehr nett.»
«Können Sie es überhaupt erwarten, mit Ihrem neuen Spielzeug zu spielen?» fragte Miss Allison. «Spielt Lord Peter Schach?»
«Ich weiß es nicht», sagte Harriet. «Ich selbst bin keine gute Spielerin. Ich habe mich nur so in die Figuren verliebt.»
«Nun», meinte Miss de Vine freundlich, «dann lassen Sie uns doch eine Partie spielen. Sie sind so schön, daß es ein Jammer wäre, sie nicht zu benutzen.»
«Aber wahrscheinlich würden Sie mich in Grund und Boden spielen.»
«Oh, spielen Sie doch damit!» rief Miss Shaw gefühlsselig.
«Denken Sie doch mal, wie sehr sie sich über ein bißchen Leben und Bewegung freuen werden, nachdem sie so lange in einem Schaufenster gestanden haben.»
«Ich gebe Ihnen einen Bauern vor», sagte Miss de Vine.
Aber selbst mit dieser Vorgabe erlitt Harriet drei demütigende Niederlagen hintereinander: erstens, weil sie wirklich nur eine mäßige Spielerin war; zweitens, weil sie sich nur schwer merken konnte, welche Figur was darstellte; drittens, weil es ihr so arge Qualen bereitete, sich auf einen Schlag von einem waffenstarrenden Krieger, einem stolzen Roß und einem kompletten Satz Elfenbeinkügelchen zu trennen, daß sie es kaum über sich brachte, auch nur einmal einen Bauern anzubieten. Miss de Vine dagegen, die selbst das Verschwinden eines Läufers im Gewand eines Kronberaters mit langem Schnurrbart oder eines Turms in Gestalt eines Elefanten mit einer ganzen Burgbesatzung von Kämpfern auf dem Rücken mit vollkommenem Gleichmut hinnahm, hatte Harriets König bald hilflos zwischen seinen eigenen Beschützern eingeschlossen. Und leichter wurde das Spiel für die schwächere Gegnerin auch nicht gerade dadurch, daß es unter dem spöttischen Blick einer Miss Hillyard stattfand, die, nachdem sie zuerst das Schachspiel zum langweiligsten Zeitvertreib der Welt erklärt hatte, dennoch nicht an ihre Arbeit ging, sondern sitzen blieb, den Blick wie verzaubert auf das Brett gebannt, und (was noch schlimmer war) mit den
Weitere Kostenlose Bücher