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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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und dann sagte Miss Hillyard, sie wisse, wo er sei, und hat dorthin angerufen. Das war schon nach Mitternacht. Zum Glück war er noch nicht zu Bett gegangen. Er sagte, er werde sofort herkommen, und dann wollte er wissen, was mit Annie Wilson los sei. Ich glaube, Miss Hillyard hat gedacht, ihm sei der Schrecken auf den Verstand geschlagen. Jedenfalls bestand er darauf, daß man ein Auge auf sie haben müsse, also machten wir uns alle auf die Suche nach ihr. Na ja, Sie wissen ja, was es für eine Arbeit ist, in diesen Gemäuern jemanden zu finden; wir haben also überall gesucht und gesucht, und nirgends hatte sie jemand gesehen. Und dann traf kurz vor zwei Uhr Lord Peter ein, bleich wie der Tod, und sagte, wir sollten das ganze College auf den Kopf stellen, wenn wir uns keine Leiche aufs Gewissen laden wollten. Das waren sehr schöne und tröstliche Aussichten!»
    «Schade, daß ich das alles verpaßt habe!» sagte Harriet. «Er muß mich ja für einen fürchterlichen Esel halten, daß ich mich so habe niederschlagen lassen.»
    «Gesagt hat er nichts dergleichen», antwortete die Dekanin trocken. «Er ist hierhergekommen, um Sie zu sehen, aber da waren Sie natürlich noch ein wenig unpäßlich. Und er hat uns selbstverständlich eine Erklärung für das Hundehalsband gegeben, über das wir uns alle schon ziemlich den Kopf zerbrochen hatten.»
    «O ja. Sie hat nach meiner Kehle gegriffen. Daran erinnere ich mich. Ich denke, sie hatte es eigentlich auf Miss de Vine abgesehen.»
    «Offensichtlich. Und mit ihrem schwachen Herzen – und ohne Hundehalsband – hätte sie auch keine große Chance gehabt, das meint jedenfalls der Arzt. Für sie war es ein großes Glück, daß Sie zufällig in ihre Wohnung gegangen sind. Oder war das kein Zufall?»
    «Ich glaube», sagte Harriet, deren Erinnerungsvermögen noch ein wenig unzuverlässig war, «ich bin hingegangen, um ihr Lord Peters Warnung zu überbringen und – ach ja! – da war noch etwas Komisches mit ihren Fenstervorhängen. Und alle Lichter waren aus.»
    «Die Birnen waren herausgeschraubt. Nun, jedenfalls hat Padgett gegen vier Uhr Annie gefunden. Sie war im Kohlenkeller unter dem Speisesaal eingesperrt, hinter dem Heizungsraum. Der Schlüssel war abgezogen, und Padgett mußte die Tür aufbrechen. Sie hat getobt und geschrien – aber sie hätte natürlich bis zum Jüngsten Tag schreien können, wenn wir sie nicht gesucht hätten, vor allem wo die Heizung nicht in Betrieb ist. Sie war, wie man so sagt, dem Zusammenbruch nah und konnte uns eine Zeitlang gar nicht zusammenhängend erzählen, was sich zugetragen hatte. Aber eigentlich geht es ihr ganz gut – außer dem Schock und ein paar blauen Flecken vom Sturz durch die Kohlenluke fehlt ihr nichts. Und ihre Arme und Hände sind natürlich ein bißchen zerschunden vom Hämmern gegen die Tür und weil sie versucht hat, durch den Lüftungsschacht hinauszuklettern.»
    «Was sagt sie denn, was passiert ist?»
    «Nun, sie wollte gegen halb zehn die Liegestühle von der Loggia räumen, als jemand sie plötzlich von hinten um den Hals packte und mit Gewalt zum Keller schleppte. Sie sagt, es sei eine Frau gewesen, und sehr kräftig –»
    «Kräftig war sie», sagte Harriet, «das kann ich bezeugen. Finger wie Stahl. Und ein sehr unweibliches Vokabular.»
    «Annie sagt, sie habe nicht gesehen, wer es war, aber der Arm vor ihrem Gesicht habe in einem dunklen Ärmel gesteckt. Nach Annies Eindruck war es Miss Hillyard; aber die war ja mit der Quästorin bei mir. Aber einige von unsern kräftigsten Vertreterinnen haben kein Alibi – vor allem Miss Pyke, die angeblich in ihrem Zimmer war, und Miss Barton, die in der Unterhaltungsbibliothek gewesen sein will, um sich ‹ein nettes Buch zum Lesen› auszusuchen. Und Mrs. Goodwin und Miss Burrows können auch nicht sehr überzeugend Rechenschaft über ihr Tun ablegen. Nach ihren eigenen Aussagen wurden beide gleichzeitig von einer unerklärlichen Wanderlust gepackt. Miss Burrows begab sich zu einem Zwiegespräch mit der Natur in den Dozentengarten und Mrs. Goodwin zu einem Zwiegespräch mit einer höheren Autorität in die Kapelle. Wir sehen uns heute alle ein bißchen scheel an.»
    «Ich gäbe etwas darum», sagte Harriet, «wenn ich besser reagiert hätte.» Sie dachte kurz nach. «Ich möchte nur wissen, warum sie mich nicht gleich ganz erledigt hat.»
    «Das hat Lord Peter sich auch gefragt. Er meint, sie müsse Sie entweder für tot gehalten haben oder über das Blut

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