Aufruhr in Oxford
nicht geklappt hatte, war ich überzeugt, daß ein neuer unternommen werden würde – entweder gegen Miss Vane oder Miss de Vine oder das mißtrauische Hausmädchen – oder gegen alle drei. Ich habe eine entsprechende Warnung ausgesprochen. Als nächstes wurden Miss Vanes Schachfiguren zertrümmert. Das kam ziemlich unerwartet. Es sah weniger nach Angst als nach persönlichem Haß aus. Bis dahin war Miss Vane fast so liebevoll behandelt worden, als ob sie eine frauliche Frau wäre. Wissen Sie, wodurch X diesen Eindruck gewonnen haben könnte, Miss Vane?»
«Ich weiß es nicht», antwortete Harriet verwirrt. «Ich habe mich einmal freundlich nach den Kindern erkundigt und mit Beatie gesprochen – großer Gott, ja! Beatie! – als ich ihnen begegnete. Und ich weiß noch, wie ich Annie einmal höflich zugestimmt habe, daß Heiraten schon etwas Gutes sein könne, wenn man den richtigen Mann finde.»
«Das war diplomatisch, wenn auch inkonsequent. Und wie steht es mit dem aufmerksamen Mr. Jones vom Jesus? Wenn Sie nachts junge Männer mit ins College bringen und in der Kapelle verstecken –»
«Gütiger Himmel!» rief Miss Pyke.
«– müssen Sie damit rechnen, für eine frauliche Frau gehalten zu werden. Aber das ist nicht weiter wichtig. Ich fürchte, die Illusion wurde zerstört, als Sie mir öffentlich mitteilten, daß persönliche Neigungen hinter öffentlichen Verpflichtungen zurückzustehen hätten.»
«Aber was ist denn nun aus Arthur Robinson geworden?» fragte Miss Edwards ungeduldig.
«Er war mit einer Frau namens Charlotte Ann Clarke verheiratet, der Tochter seiner ehemaligen Zimmerwirtin. Sein erstes, vor acht Jahren geborenes Kind wurde Beatrice genannt. Nach der ärgerlichen Geschichte in York hat er den Namen Wilson angenommen und sich als Lehrer an einer kleinen Grundschule verdingt, wo man nichts dagegen hatte, einen Mann einzustellen, dem sein Magister Artium aberkannt worden war, solange man ihn nur billig bekam. Seine zweite, wenig später geborene Tochter erhielt den Namen Carola. Ich fürchte, die Wilsons hatten es nicht leicht. Er verlor seine erste Stelle wieder – der Grund war leider Alkohol – nahm eine andere an, geriet wieder in Schwierigkeiten und hat sich vor drei Jahren erschossen. In der Lokalzeitung waren Fotos von ihm. Hier sind sie. Sie sehen: ein blonder, gutaussehender Mann von etwa achtunddreißig Jahren – attraktiv und schwach, ein wenig der Typ meines Neffen. Und hier ist das Foto der Witwe.»
«Sie haben recht», sagte die Rektorin. «Das ist Annie Wilson.»
«Ja. Wenn Sie den Bericht über die Untersuchungsverhandlung lesen, werden Sie sehen, daß er einen Brief hinterlassen hat, in dem er schreibt, daß er in den Tod getrieben worden sei – ein recht weitschweifiger Brief mit einem lateinischen Zitat darin, das der Untersuchungsrichter freundlicherweise übersetzte.»
«Gütiger Himmel!» rief Miss Pyke. « Tristius haud illis monstrum –? »
« Ita . Das hat also wirklich ein Mann geschrieben; insoweit hatte Miss Hillyard recht. Annie Wilson, die für sich und ihre Kinder den Lebensunterhalt verdienen mußte, ging in Stellung.»
«Sie hatte sehr gute Zeugnisse», sagte die Quästorin.
«Zweifellos; warum auch nicht? Irgendwie muß sie sich über Miss de Vines Verbleib auf dem laufenden gehalten haben; und als voriges Jahr Weihnachten die Ernennung bekanntgegeben wurde, hat sie sich hier um eine Stelle beworben. Sie wußte wahrscheinlich, daß sie als arme Witwe mit zwei kleinen Kindern auf Wohlwollen zählen konnte –»
«Was habe ich Ihnen gesagt?» rief Miss Hillyard. «Ich habe schon immer gesagt, daß diese lächerliche Sentimentalität gegenüber verheirateten Frauen noch einmal alle Disziplin an diesem College ruinieren wird. Sie sind mit den Gedanken nicht bei der Arbeit und können es auch nicht sein.»
«Du meine Güte!» sagte Miss Lydgate. «Die arme Seele! Die ganze Zeit auf so abwegige Weise ihrem Groll nachzuhängen! Hätten wir doch nur etwas gewußt, dann hätten wir sicher etwas unternehmen können, um sie die Sache in einem vernünftigeren Licht sehen zu lassen. Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, Miss de Vine, sich zu erkundigen, was aus diesem armen Mr. Robinson geworden ist?»
«Leider nein.»
«Wieso auch?» verlangte Miss Hillyard zu wissen.
Der Lärm im Kohlenkeller war in den letzten Minuten verstummt. Als ob die Stille eine Gedankenassoziation in ihr ausgelöst hätte, wandte Miss Chilperic sich an Peter und meinte
Weitere Kostenlose Bücher