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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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soll, obwohl es doch schon mehrere Jahre alt war. Hinzu kam der merkwürdige Umstand, daß die Briefe, die mit der Post kamen, ihre Empfängerinnen immer montags und donnerstags erreichten, als ob Sonntag und Mittwoch die einzigen Tage wären, an dem sie bequem irgendwo außerhalb aufgegeben werden konnten. Diese drei Überlegungen konnten auf jemanden hindeuten, der in einiger Entfernung von hier wohnte und nur zweimal die Woche nach Oxford kam. Aber die nächtlichen Ausschreitungen bewiesen eindeutig, daß die Person im College wohnte, es zu bestimmten Zeiten verlassen durfte und irgendwo draußen ein Zimmer hatte, wo sie Kleider aufbewahren und anonyme Briefe herstellen konnte. Eine Person, die diese Bedingungen am besten erfüllte, war am ehesten unter den Hausmädchen zu suchen.»
    Miss Stevens und Miss Barton horchten beide auf.
    «Die Mehrzahl der Hausmädchen schien jedoch nicht in Betracht zu kommen. Soweit sie nicht nachts im Hausmädchenflügel eingeschlossen waren, handelte es sich um Frauen, die schon lange hier waren und Vertrauen genossen – also höchstwahrscheinlich keine der anderen Voraussetzungen erfüllten. Die meisten Bewohnerinnen des Hausmädchenflügels schliefen zu zweit in einem Zimmer, und sofern nicht zwei unter einer Decke steckten, konnten sie nicht Nacht für Nacht aufs Collegegelände entweichen, ohne sich verdächtig zu machen. Blieben also nur noch diejenigen, die ein Zimmer für sich hatten: Carrie, das erste Mädchen; Annie, das Hausmädchen, das zuerst zu Miss Lydgates Flur gehörte und später ins Dozentenzimmer versetzt wurde; und drittens Ethel, eine schon ältere und höchst ehrbare Frau. Von diesen dreien entsprach Annie am ehesten dem Psychogramm von X: Sie ist verheiratet gewesen; sie hat sonntags nachmittags und mittwochs nachmittags und abends frei; sie hat ihre Kinder in der Stadt untergebracht und somit einen Ort, wo sie Kleider aufbewahren und Briefe fabrizieren konnte.»
    «Aber –», begann die Quästorin entrüstet.
    «Soweit erst der Fall, wie ich ihn am Sonntag vor einer Woche sah», sagte Wimsey. «Sofort erhoben sich dagegen einige erhebliche Einwände. Der Hausmädchenflügel ist durch verschlossene Türen und Gitter abgeteilt. Aber um die Zeit der Bibliotheksepisode stellte sich klar heraus, daß die Kantinendurchreiche hin und wieder offen gelassen wurde, damit Studentinnen, die sich spät in der Nacht noch etwas holen wollten, sich bedienen konnten. Tatsächlich hatte Miss Hudson ja gerade an diesem Abend damit gerechnet, sie offen zu finden. Als Miss Vane sie aber ausprobierte, war sie verschlossen. Das war jedoch, nachdem X die Bibliothek schon wieder verlassen hatte, und Sie werden sich erinnern, daß X, wie sich herausstellte, zwischen Miss Vane und Miss Hudson am einen Ende des Speisesaalgebäudes und Miss Barton am andern Ende in der Falle gesessen hatte. Damals wurde angenommen, daß sie sich im Speisesaal versteckt gehalten hatte.
    Nach diesem Zwischenfall wurde strenger darauf geachtet, daß die Kantinendurchreiche verschlossen blieb, und wie ich höre, wurde der Schlüssel, der bis dahin immer auf der Innenseite der Luke gesteckt hatte, abgezogen und an Carries Schlüsselring gehängt. Aber einen Schlüssel kann man sich leicht an einem einzigen Tag nachmachen lassen. Es dauerte dann sogar eine Woche bis zum nächsten nächtlichen Zwischenfall, also über den folgenden Mittwoch hinaus, an dem ein von Carries Bund entwendeter Schlüssel ohne weiteres hätte nachgemacht und zurückgegeben werden können. (Ich weiß sogar sicher, daß an diesem Mittwoch in einer Schlosserei in der Unterstadt ein solcher Schlüssel angefertigt worden ist, konnte jedoch den Auftraggeber nicht ermitteln. Aber das ist nur eine Formsache.) Eine Überlegung gab es, die Miss Vane dazu brachte, die Hausmädchen allesamt vom Verdacht auszunehmen, und zwar die, daß eine Frau in dieser Stellung ihrem Groll wohl nicht so ohne weiteres in dem lateinischen Äneis-Zitat. Luft machen würde, das an der Puppe gefunden wurde.
    Dieser Einwand beeindruckte mich zunächst auch, aber nicht sehr. Es war die einzige Äußerung in einer fremden Sprache, und an das Zitat konnte jedes Schulkind leicht herankommen. Andererseits brachte gerade die Sonderstellung dieses Schriftstücks unter den andern mich zu der Überzeugung, daß es eine besondere Bewandtnis damit haben mußte. Ich meine, X drückte ihre Gefühle ja nicht gewohnheitsmäßig in lateinischen Hexametern aus. An diesem Zitat

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