Aufruhr in Oxford
meine Kinder im Heim sehen, weil Sie nicht den Mumm haben, das zu tun, wozu Sie auf der Welt sind. Sie alle miteinander haben nicht genug Fleisch und Blut an sich, um für einen Mann zu taugen. Und Sie –»
Peter hatte sich wieder auf seinen Platz gesetzt und den Kopf in die Hände gelegt. Sie ging zu ihm und schüttelte ihn heftig bei der Schulter, und als er aufsah, spie sie ihm ins Gesicht. «Sie! Sie gemeiner Verräter! Sie erbärmliche, bleichgesichtige Ratte! Männer wie Sie machen doch erst die Frauen zu so etwas. Sie können überhaupt nichts anderes als reden. Was wissen Sie schon vom Leben? Sie mit Ihrem Titel und Ihrem Geld und Ihren Kleidern und Autos! Sie haben noch nie einen Handschlag ehrliche Arbeit getan. Sie können sich alle Frauen kaufen, die Sie wollen. Ehefrauen und Mütter können Ihretwegen vor die Hunde gehen, während Sie von Pflicht und Ehre reden. Keine würde je für Sie ein Opfer bringen – wozu auch? Die Frau da hält Sie zum Narren, und Sie merken es nicht einmal. Und wenn sie Sie wegen Ihres Geldes heiratet, macht sie noch einen schlimmeren Narren aus Ihnen, und Sie hätten es verdient. Sie taugen zu nichts anderem als sich die Hände nicht schmutzig zu machen und anderer Männer Kinder zu zeugen … Was werden Sie jetzt machen – Sie alle miteinander? Zum Kadi rennen und ihm was vorwinseln, weil ich Sie alle zum Narren gehalten habe? Das wagen Sie nicht! Sie haben ja Angst, ans Tageslicht zu treten. Sie haben Angst um Ihr kostbares College und Ihr kostbares Ansehen. Ich habe keine Angst. Ich habe nichts anderes getan, als für mein eigen Fleisch und Blut einzustehen. Zum Teufel mit Ihnen. Ich lache Sie alle aus! Sie wagen es nicht, mich anzurühren. Sie haben Angst vor mir. Ich hatte einen Mann und habe ihn geliebt – und Sie waren eifersüchtig auf mich und haben ihn umgebracht. O Gott! Sie haben ihn alle zusammen umgebracht, und wir waren nie mehr einen Augenblick glücklich.»
Sie brach plötzlich in Tränen aus – es war halb schrecklich, halb grotesk, wie sie dastand, die Mütze schief auf dem Kopf, mit den Händen die Schürze zu einem Knoten verschlingend.
«Um Himmels willen», flüsterte die Dekanin verzweifelt, «kann man dem nicht ein Ende machen?»
Jetzt stand Miss Barton auf.
«Kommen Sie, Annie», sagte sie energisch. «Sie tun uns allen sehr leid, aber Sie dürfen sich nicht so albern und hysterisch benehmen. Was würden Ihre Kinder von Ihnen denken, wenn sie Sie so sähen? Kommen Sie mit, legen Sie sich irgendwo still hin und nehmen Sie ein Aspirin. Miss Stevens! Könnten Sie mir bitte helfen, sie hinauszubringen?»
Die Quästorin, die wie gelähmt dagesessen hatte, stand auf und nahm Annie bei dem anderen Arm, und sie gingen zu dritt hinaus. Die Rektorin wandte sich an Peter, der dastand und sich mechanisch das Gesicht mit einem Taschentuch abwischte, ohne jemanden anzusehen.
«Ich entschuldige mich dafür, daß ich diese Szene zugelassen habe. Ich hätte es besser wissen müssen. Sie hatten völlig recht.»
«Natürlich hatte er recht!» rief Harriet. Ihr Kopf hämmerte wie ein Motor. «Er hat immer recht. Er hat gesagt, es ist gefährlich, jemanden gern zu haben. Er hat gesagt, die Liebe sei ein Untier, ein Teufel. Sie sind ehrlich, Peter, nicht wahr? Sie sind verdammt ehrlich – o Gott! Laßt mich hier raus. Ich muß mich übergeben.»
Sie taumelte blind gegen ihn, als er ihr die Tür aufhielt, und er mußte sie mit fester Hand zur Toilettentür geleiten. Als er zurückkam, war die Rektorin aufgestanden und mit ihr die Professorinnen. Ihre Gesichter waren fassungslos von dem Schock, so viele Gefühle in aller Öffentlichkeit bloßgestellt zu sehen.
«Natürlich», sagte die Rektorin soeben, «kann kein vernünftiger Mensch auch nur daran denken, Ihnen Vorwürfe zu machen, Miss de Vine.»
«Danke, Dr. Baring», antwortete Miss de Vine. «Niemand vielleicht, außer mir selbst.»
«Lord Peter», sagte die Rektorin, «wenn wir später wieder alle zu uns gefunden haben, möchten wir Ihnen, glaube ich, alle sagen –»
«Bitte nicht», sagte er. «Schon gut.»
Die Rektorin ging hinaus, und die übrigen folgten ihr wie ein Trauerzug bei der Beerdigung. Nur Miss de Vine blieb einsam und allein beim Fenster sitzen. Peter schloß die Tür hinter ihnen und ging zu ihr. Er fuhr sich noch immer mit dem Taschentuch über den Mund. Als er das bemerkte, warf er es in den Papierkorb.
«Ich mache mir Vorwürfe», sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.
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