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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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«Bitterste Vorwürfe. Nicht wegen meiner ursprünglichen Handlungsweise – da konnte ich nicht anders –, sondern wegen des Nachspiels. Sie können mir nichts sagen, was mein Schuldgefühl noch größer machen könnte, als es schon ist.»
    «Ich hätte gar kein Recht, etwas zu sagen», erwiderte er. «Wie Sie und alle Mitglieder dieses Kollegiums habe ich mich zu dem Prinzip bekannt, und die Folgen sind unausweichlich.»
    «Das geht aber nicht», sagte die Professorin freiheraus. «Ein wenig muß man auch an andere Menschen denken. Miss Lydgate hätte zunächst genauso gehandelt wie ich; aber dann hätte sie es als ihre Pflicht angesehen, sich darum zu kümmern, was aus diesem unglücklichen Mann und seiner Frau wurde.»
    «Miss Lydgate ist ein sehr großherziger und seltener Mensch. Aber auch sie könnte nicht verhindern, daß andere unter ihren Prinzipien zu leiden hätten. Dafür scheinen Prinzipien irgendwie dazusein … Wissen Sie», fuhr er mit einem Anflug seiner gewohnten Zaghaftigkeit fort, «ich nehme nicht für mich in Anspruch, ein Christ oder irgend etwas in der Art zu sein. Aber in der Bibel steht ein Satz, der mir nichts als die Feststellung einer grausamen Tatsache zu sein scheint – ich meine den Satz, daß er nicht gekommen sei, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.»
    Miss de Vine sah neugierig zu ihm auf.
    «Wieviel werden Sie darunter zu leiden haben?»
    «Weiß der Himmel», sagte er. «Das ist meine Sache. Vielleicht gar nicht. Jedenfalls sollen Sie wissen, daß ich zu Ihnen stehe – jederzeit.»
    Als Harriet von der Toilette zurückkam, traf sie Miss de Vine allein an.
    «Gott sei Dank, sie sind fort», sagte Harriet. «Ich fürchte, ich habe mich ziemlich daneben benommen. Es war – irgendwie erschütternd, nicht? Wo ist Peter geblieben?»
    «Er ist fort», sagte Miss de Vine.
    Sie zögerte, dann sagte sie:
    «Miss Vane – ich möchte mich nicht ungebeten in Ihre Angelegenheiten drängen. Sagen Sie es mir, wenn ich zu weit gehe. Aber wir haben schon soviel darüber gesprochen, daß man den Tatsachen ins Auge sehen soll. Wäre es nicht Zeit, daß Sie in bezug auf diesen Mann den Tatsachen ins Auge sähen?»
    «Einer Tatsache sehe ich schon seit geraumer Zeit ins Auge», sagte Harriet, die mit leerem Blick zum Fenster hinaus auf den Hof starrte, «und zwar weiß ich, wenn ich Peter einmal nachgäbe, würde ich in Flammen aufgehen wie Stroh.»
    «Das ist ziemlich offensichtlich», antwortete Miss de Vine trocken. «Wie oft hat er diese Waffe schon gegen Sie eingesetzt?»
    «Noch nie», sagte Harriet und dachte an alle die Augenblicke, da er sie hätte einsetzen können. «Noch nie.»
    «Wovor haben Sie dann Angst? Vor sich selbst?»
    «Ist dieser Nachmittag nicht Warnung genug?»
    «Vielleicht. Sie hatten das Glück, einem sehr selbstlosen und sehr ehrlichen Mann zu begegnen. Er hat getan, worum Sie ihn gebeten haben, ohne danach zu fragen, was es ihn kostete, und ohne sich um die Folgen zu drücken. Er hat nicht versucht, Tatsachen zu verschleiern oder Ihr Urteil zu beeinflussen. Das geben Sie doch wenigstens zu?»
    «Ob er wußte, wie mir dabei zumute sein würde?»
    «Wußte?» sagte Miss de Vine mit einem Anflug von Verärgerung. «Mein liebes Kind, halten Sie ihm wenigstens seine Intelligenz zugute. Er hat einen sehr scharfen Verstand. Er ist ungeheuer sensibel und viel gescheiter, als ihm guttut. Aber ich finde wirklich, daß Sie so nicht weitermachen dürfen. Sie werden weder seine Geduld noch seine Selbstbeherrschung noch seinen Mut brechen, vielleicht aber seine Gesundheit. Er sieht aus wie einer, der an den äußersten Rand seiner Leidensfähigkeit getrieben wurde.»
    «Er ist viel in der Gegend herumgereist und hat schwer gearbeitet», sagte Harriet abwehrend. «Ich wäre keine bequeme Lebensgefährtin für ihn. Ich bin ein teuflisch schwieriger Mensch.»
    «Nun, das ist sein Risiko, wenn er es eingehen will. An Mut scheint es ihm ja nicht zu fehlen.»
    «Ich würde ihm nur das Leben zur Hölle machen.»
    «Nun gut. Wenn Sie zu der Entscheidung gekommen sind, daß Sie nicht dazu taugen, ihm die Stiefel zu putzen, dann sagen Sie ihm das und schicken Sie ihn fort.»
    «Ich versuche Peter schon seit fünf Jahren fortzuschicken. Es beeindruckt ihn nicht im mindesten.»
    «Wenn es Ihnen ernst damit gewesen wäre, hätten Sie ihn in fünf Minuten fortschicken können … Entschuldigen Sie. Ich glaube, Sie hatten es nicht sehr leicht mit sich selbst. Aber für ihn kann es auch

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