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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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St. Cross Road hinaus und stellte sich unter die Mauer. Als sie aus dem Tor trat, tauchte eine zweite dunkle Gestalt aus dem Schatten auf und rief beschwörend: «He!» Der Herr auf der Mauer sah sich um, rief «O verdammt!» und kam eilig heruntergeklettert. Sein Freund suchte mit schnellen Schritten das Weite, aber der Mauerbesteiger schien sich beim Abstieg verletzt zu haben und kam nur langsam voran. Harriet, die trotz der neun Jahre, die seit ihrem Studium vergangen waren, durchaus noch gut zu Fuß war, nahm die Jagd auf und holte ihn wenige Schritte vor der Ecke Jowett Walk ein. Der inzwischen weit entfernte Komplize sah sich zögernd um.
    «Hau ab, Mann!» rief der Gefangene; dann drehte er sich zu Harriet um und meinte mit verlegenem Grinsen: «Sie haben mich erwischt. Ich hab mir den Knöchel verstaucht oder so was.»
    «Und was hatten Sie da oben auf der Mauer verloren, Sir?» fragte Harriet. Im Mondlicht sah sie in ein frisches, helles und treuherziges Gesicht mit jugendlichen Rundungen und augenblicklich leicht verwirrten Zügen, die eine Mischung von Angst und Belustigung ausdrückten. Der junge Mann war sehr groß und breitschultrig, aber Harriet hielt ihn mit so festem Griff gepackt, daß er sie nicht hätte abschütteln können, ohne ihr weh zu tun, und er schien nicht zu Gewaltanwendung geneigt zu sein.
    «Sollte nur ein Jux sein», sagte der junge Mann schlagfertig.
    «Eine Wette, verstehen Sie? Mein Barett an den höchsten Ast der Buchen vom Shrewsbury hängen. Mein Freund da drüben sollte Zeuge sein. Ich hab die Wette wohl verloren, wie?»
    «Wenn das so ist», sagte Harriet streng, «wo ist dann Ihr Barett? Und Ihr Talar, wenn wir schon dabei sind? Ihren Namen und Ihr College bitte, Sir.»
    «Also», meinte der junge Mann unverschämt, «wenn das so ist, wo sind dann Ihre Klamotten?»
    Wenn einen nur noch wenige Monate vom zweiunddreißigsten Geburtstag trennen, ist eine solche Frage schmeichelhaft. Harriet mußte lachen.
    «Junger Mann, halten Sie mich vielleicht für eine Studentin?»
    «Eine – eine Professorin, Gott steh mir bei!» rief der junge Mann, dessen gute Laune durch den Genuß alkoholischer Getränke gehoben, wenn auch nicht ungebührlich erhöht zu sein schien.
    «Nun?» fragte Harriet.
    «Ich glaub’s nicht», sagte der junge Mann, indem er ihr Gesicht so eingehend musterte, wie es im fahlen Mondlicht ging. «Nicht möglich. Zu jung. Zu charmant. Zu humorvoll.»
    «Jedenfalls um einiges zu humorvoll, um Sie einfach davonkommen zu lassen, junger Mann. Und sehr humorlos, was diesen Hausfriedensbruch angeht.»
    «Hören Sie», sagte der junge Mann, «es tut mir furchtbar leid. Reiner Leichtsinn und so weiter. Ehrlich, wir haben nichts verbrochen. Absolut nichts. Ich meine, wir wollten nur die Wette gewinnen und ganz ruhig wieder abziehen. Seien Sie kein Spielverderber. Ich meine, Sie sind nicht die Rektorin oder die Dekanin oder so was. Die kenne ich nämlich. Könnten Sie nicht einfach ein Auge zudrücken?»
    «Schön und gut», sagte Harriet. «Aber wir können so etwas nicht durchgehen lassen. Das geht nicht. Sie müssen doch einsehen, daß so etwas nicht geht.»
    «O ja, das sehe ich ein», pflichtete der junge Mann ihr eifrig bei.
    «Absolut. Vollkommen. So was Albernes tut man nicht. Und wie das mißverstanden werden könnte!» Er verzog das Gesicht und hob ein Bein hoch, um sich den verstauchten Knöchel zu reiben. «Aber wenn man so eine verführerische Mauer sieht wie die hier –»
    «Ach ja», meinte Harriet, «was ist denn das Verführerische daran? Kommen Sie mal mit und zeigen Sie es mir, ja?» Sie führte ihn mit fester Hand, ohne auf seine Proteste zu achten, zum Seiteneingang. «Aha, ja, ich sehe. Da fehlen ein paar Steine. Ausgezeichnete Trittlöcher. Man sollte fast meinen, die sind mit Absicht da herausgeschlagen worden, nicht? Und so ein praktischer Baum im Dozentengarten. Darum wird die Quästorin sich einmal kümmern müssen. Kennen Sie diese Mauer sehr gut, junger Mann?»
    «Ich weiß, daß es sie gibt», räumte ihr Gefangener ein. «Aber hören Sie mal, wir – wir wollten zu niemandem einsteigen oder so etwas, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
    «Das will ich auch nicht hoffen», sagte Harriet.
    «Nein, und wir waren ganz allein», erklärte der junge Mann eilfertig weiter. «Sonst hat niemand etwas damit zu tun. Du lieber Himmel, nein! Und hören Sie doch, ich habe mir den Fuß verstaucht, und Ausgangssperre kriegen wir sowieso und – liebe gute

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