Aufruhr in Oxford
Fuß der Treppe stehen, um alles noch einmal von sich zu geben. Harriet hörte ungeduldig zu, denn sie dachte an Mr. Pomfret, der in der Kapelle sicher schon schäumte vor Wut. Endlich konnte sie das Hausmädchen loswerden und kehrte um.
Wie kompliziert, dachte Harriet; welch alberne Situation, wie in einer Komödie. Emily glaubt eine Studentin erwischt zu haben; ich glaube einen Poltergeist erwischt zu haben. Wir erwischen einander. Jung-Pomfret wird in der Kapelle versteckt. Er glaubt, ich wolle gütigerweise ihn und Miss Cattermole beschirmen. Nachdem ich Pomfret gut versteckt habe, muß ich zugeben, daß er hier war. Wenn aber Emily doch der Poltergeist war – und vielleicht ist sie es –, konnte ich mir von Pomfret nicht helfen lassen, sie zu fangen. Dieses Räuberspielchen ist sehr verwirrend.
Sie drückte die Kapellentür auf. Der Vorraum war leer.
«Verdammt!» entfuhr es Harriet ehrfurchtslos. «Der Trottel ist weg. Aber vielleicht ist er nur nach drinnen gegangen.»
Sie schaute durch die Innentür und sah zu ihrer Erleichterung eine dunkle Gestalt undeutlich abgehoben vor dem hellen Eichenholz der Chorstühle. Dann aber sah sie plötzlich zu ihrem heillosen Schrecken eine zweite dunkle Gestalt, die auf sonderbare Weise frei in der Luft zu schweben schien.
«Hallo!» sagte Harriet. Im spärlichen Licht des Südfensters sah sie eine weiße Hemdbrust aufleuchten, als Mr. Pomfret sich umdrehte. «Ich bin’s nur. Und was ist das ?»
Sie nahm eine Taschenlampe aus der Handtasche und knipste sie kühn an. Der Strahl fiel auf eine gräßliche Figur, die von dem Baldachin über den Chorstühlen herunterbaumelte. Sie schaukelte langsam hin und her und drehte sich dabei. Harriet machte einen Satz vorwärts.
«Diese Mädchen haben schon eine morbide Phantasie, finden Sie nicht?» meinte Mr. Pomfret.
Harriet betrachtete den Talar und das Barett – es war die Tracht eines Magister Artium –, mit denen das in ein Kleid gestopfte Kissen drapiert war. Das Ganze hing an einer dünnen Schnur an einem der Knäufe, mit denen der Architekt den Baldachin verziert hatte.
«Und auch noch ein Brotmesser in den Leib gerammt», fuhr Mr. Pomfret fort. «Mir ist ganz anders geworden, wie meine alte Tante immer sagt. Haben Sie die Dame erwischt?»
«Nein. War sie hier drin?»
«Oh, und ob», sagte Mr. Pomfret. «Ich hatte mir nämlich gedacht, ich ziehe mich lieber noch ein Stück weiter zurück. Da bin ich hier reingekommen. Und dann hab ich das gesehen. Wie ich dann hinging, um es mir näher anzusehen, habe ich jemanden zur anderen Tür hinaushuschen hören – da drüben.»
Er zeigte unbestimmt zur Nordseite, wo es in die Sakristei ging. Harriet lief hin. Die Tür war offen, und die Außentür der Sakristei war zwar zu, aber von innen aufgeschlossen worden. Sie spähte nach draußen. Alles still.
«Die mit ihren dummen Streichen», sagte sie, als sie zurückkam. «Nein, ich bin der Dame nicht begegnet. Sie muß sich davongemacht haben, während ich Emily zum Neuen Hof zurückbegleitet habe. Mein sprichwörtliches Glück.» Den letzten Satz hatte sie leise zu sich selbst gesagt. Es war wirklich zum Verrücktwerden, sich vorzustellen, daß sie den Poltergeist greifbar nah hatte und dann von Emily abgelenkt worden war. Sie ging wieder zu der Puppe und sah, daß mit dem Brotmesser ein Zettel darangeheftet war.
«Irgendein klassisches Zitat», sagte Mr. Pomfret gelassen. «Da scheint jemand einen Zorn auf Ihre Professorinnen zu haben.»
«Kindsköpfe!» sagte Harriet. «Aber sehr überlegt gemacht, alles was recht ist. Wenn wir das jetzt nicht gefunden hätten und morgen früh alle zur Andacht hier hereingekommen wären, hätte es eine schöne Aufregung gegeben. Der Sache sollte man ein wenig nachgehen. Na ja, für Sie wird’s jetzt auf jeden Fall Zeit, nach Hause zu gehen und sich einsperren zu lassen, das wird Ihnen sicher guttun.»
Sie begleitete ihn zum Nebenausgang und ließ ihn hinaus.
«Übrigens, Mr. Pomfret, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie niemandem von diesem Unfug erzählen. Er ist nicht gerade sehr geschmackvoll. Und eine Hand wäscht die andere.»
«Sie sagen es», antwortete Mr. Pomfret. «Und, hören Sie – darf ich morgen mal vorbeikommen – das heißt, es ist ja jetzt schon morgen, nicht? – und mal nachfragen? Gehört sich doch so, oder? Wann sind Sie im College? Bitte!»
«Keine Besuche am Vormittag», entgegnete Harriet prompt.
«Was ich am Nachmittag machen werde, weiß ich noch
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