Aufruhr in Oxford
schon gehört? Nun, das war natürlich nicht Violet. Lächerlich. Aber die Flaxman hat es im ganzen College verbreitet, und wenn so eine Beschuldigung erst einmal laut geworden ist, kriegt man sie so schnell nicht wieder aus der Welt.»
«Stimmt. Nun, Miss Briggs, wir beide sollten jetzt lieber zu Bett gehen. Ich komme nach dem Frühstück und sehe nach Miss Cattermole. Zerbrechen Sie sich nicht zu sehr den Kopf. Ich denke, diese Bescherung hier wird sich noch als Glück im Unglück entpuppen. Jedenfalls gehe ich jetzt. Könnten Sie mir mal ein kräftiges Messer leihen?»
Miss Briggs übergab ihr einigermaßen verwundert ein robustes Federmesser und wünschte ihr gute Nacht. Auf dem Weg zum Tudor-Bau schnitt Harriet die baumelnde Puppe ab und nahm sie mit, um sie später zu untersuchen und etwas zu unternehmen. Sie hatte das starke Gefühl, die Situation erst einmal überschlafen zu müssen.
Sie mußte sehr müde gewesen sein, denn sie lag kaum im Bett, da schlief sie schon, und sie träumte weder von Peter Wimsey noch überhaupt.
8. Kapitel
Doch als sie mit weichem Blick ihn umschlang,
Ein Seufzer sich ihrer Brust entrang.
Ihre Stimme stockt, kein Wort sie sprach,
Dieweil alter Schmerz neue Bahn sich brach.
Denn sie meint in des Jünglings edlen Zügen,
seines Vaters einstige Schönheit zu sehen.
EDMUND SPENSER
«Aber es führt kein Weg daran vorbei», sagte Miss Pyke, «daß ich um neun Uhr eine Vorlesung habe. Kann mir jemand einen Talar leihen?»
Einige Professorinnen saßen im Dozentenspeisezimmer beim Frühstück. Harriet war gerade rechtzeitig hinzugekommen, um die mit hoher und ziemlich entrüsteter Stimme vorgetragene Bitte mitzuhören.
«Ist Ihnen Ihr Talar abhanden gekommen, Miss Pyke?»
«Sie könnten gern meinen haben», meinte die kleine Miss Chilperic gütig, «aber er ist wohl nicht annähernd lang genug.»
«Man kann doch heute nichts mehr mit ruhigem Gewissen in der Garderobe hängen lassen», stellte Miss Pyke fest. «Ich weiß genau, daß er nach dem Abendessen noch dort hing, denn da habe ich ihn noch gesehen.»
«Tut mir leid», sagte Miss Hillyard, «aber ich habe um neun selbst eine Vorlesung.»
«Sie können meinen haben», schlug Miss Burrows vor, «aber dann müssen Sie ihn mir bis spätestens zehn Uhr zurückgeben.»
«Fragen Sie mal Miss de Vine oder Miss Barton», meinte die Dekanin. «Die haben keine Vorlesungen. Oder Miss Vane – ihrer würde Ihnen passen.»
«Gewiß», sagte Harriet leichthin. «Brauchen Sie auch ein Barett?»
«Das Barett ist jedenfalls auch weg», antwortete Miss Pyke.
«Das brauche ich zwar nicht für die Vorlesung, aber es wäre schön zu wissen, wo meine Sachen hingekommen sind.»
«Man kann sich nur wundern, was manchmal alles wegkommt», meinte Harriet, indem sie sich vom Rührei bediente.
«Die Leute sind so gedankenlos. Wem gehört übrigens ein halblanges schwarzes Abendkleid, Crêpe de Chine, mit roten und grünen Mohnblumen, vorn gekreuzt, mit versetzter Taille, weitem Glockenrock und Ärmeln, die etwa drei Jahre hinter der Mode zurück sind?»
Sie sah sich im Speisezimmer um, das mittlerweile gut gefüllt war. «Miss Shaw – Sie haben doch ein Auge für Kleider. Könnten Sie es identifizieren?»
«Vielleicht, wenn ich es sehe», antwortete Miss Shaw. «Ihre Beschreibung sagt mir nichts.»
«Haben Sie denn so eins gefunden?» fragte die Quästorin.
«Ein neues Kapitel in unserm Gruselroman?» erkundigte sich Miss Barton.
«Ich bin ganz sicher, daß keine meiner Studentinnen so eines hat», sagte Miss Shaw. «Die kommen nämlich gern zu mir und zeigen mir ihre Kleider. Ich halte es für eine gute Sache, wenn man Interesse daran zeigt.»
«Ich kann mich nicht erinnern, so ein Kleid schon einmal im Kollegium gesehen zu haben», stellte die Quästorin fest.
«Hatte Miss Wrigley nicht ein blumenbedrucktes Crêpe de Chine?» fragte Mrs. Goodwin.
«Doch», sagte Miss Shaw. «Aber sie ist nicht mehr hier. Außerdem hatte das ihre einen rechteckigen Halsausschnitt und keine versetzte Taille. Das weiß ich noch sehr genau.»
«Könnten Sie uns das Rätsel vielleicht näher erklären, Miss Vane?» erkundigte sich Miss Lydgate. «Oder ist es besser, wenn Sie nichts dazu sagen?»
«Nun», meinte Harriet, «ich wüßte nicht, warum ich es Ihnen nicht sagen sollte. Als ich gestern abend von dem Ball zurückkam, bin ich – äh – noch ein bißchen hier herumgegangen –»
«Aha!» sagte die Dekanin. «Ich hatte doch das Gefühl, daß
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