Aufruhr in Oxford
Das hätten Sie nämlich gekonnt, oder?»
«Ich bin nicht Violet Cattermoles Hüterin.»
«Jedenfalls», sagte Harriet, «freut es Sie vielleicht zu hören, daß bei der ganzen dummen Geschichte doch noch etwas Gutes herausgekommen ist. Miss Cattermole ist jetzt endgültig von jedem Verdacht befreit, etwas mit den anonymen Briefen oder dem anderen Unfug zu tun zu haben. Es wäre also ganz gut, wenn Sie sich ihr gegenüber anständig benehmen, finden Sie nicht?»
«Ich kann Ihnen sagen», antwortete Miss Flaxman, «daß mir die Geschichte so oder so egal ist.»
«Kann sein; aber Sie haben die Gerüchte über Miss Cattermole ausgestreut, und jetzt ist es an Ihnen, sie wieder aus der Welt zu schaffen. Ich fände es nur richtig, Mr. Farringdon die Wahrheit zu sagen. Wenn Sie es nicht tun, tue ich es.»
«Sie scheinen sich ja sehr für meine Angelegenheiten zu interessieren, Miss Vane.»
«Ihre Angelegenheiten scheinen ein nicht geringes allgemeines Interesse erregt zu haben», sagte Harriet unverblümt. «Das ursprüngliche Mißverständnis werfe ich Ihnen nicht vor, aber nachdem dies nun aufgeklärt ist – und Sie haben mein Wort dafür, daß es so ist –, würden Sie es sicher auch nicht richtig finden, wenn Miss Cattermole weiter den Sündenbock spielen müßte. Sie können in Ihrem Jahrgang eine Menge ausrichten. Werden Sie tun, was Sie können?»
Perplex und verärgert und offenbar nicht ganz sicher, welchen Status sie Harriet zuerkennen sollte, sagte Miss Flaxman mehr oder weniger zähneknirschend:
«Natürlich, wenn sie es nicht war, soll es mich freuen. Also gut. Ich sag’s Leo.»
«Vielen Dank», sagte Harriet.
Mr. Pomfret mußte sehr schnell gelaufen sein, denn schon nach erstaunlich kurzer Zeit traf das Medikament ein, zusammen mit einem großen Rosenstrauß. Das Mittel war sehr wirksam und versetzte Miss Cattermole nicht nur in die Lage, zum Mittagessen in den Speisesaal zu gehen, sondern sogar zu essen. Harriet hängte sich an sie, als sie wieder hinausging, und entführte sie in ihr eigenes Zimmer.
«So», sagte Harriet. «Sie sind ein kleines Rindvieh, wissen Sie das?»
Miss Cattermole schloß sich zerknirscht diesem Urteil an.
«Wozu soll das eigentlich gut sein?» fragte Harriet. «Sie haben es fertiggebracht, gegen sämtliche Vorschriften zu verstoßen, die es gibt, und hatten herzlich wenig Spaß dabei, oder? Sie waren, ohne Ausgang zu haben, nach dem Abendessen auf einer Versammlung in den Räumen eines Mannes, und Ausgang hätten Sie dafür gar nicht erst bekommen, weil Sie nämlich uneingeladen zu der Versammlung gegangen sind. Das ist sowohl gegen die guten Sitten wie gegen die Vorschrift. Auf jeden Fall waren Sie nach neun Uhr draußen, ohne sich an der Pforte eingetragen zu haben. Das würde Sie schon zwei Shilling kosten. Dann sind Sie später als Viertel nach elf ins College zurückgekommen, ohne Nachtausgang zu haben – das sind fünf Shilling. Tatsächlich sind Sie sogar erst nach Mitternacht zurückgekommen – was Sie allein schon zehn Shilling kosten würde, selbst wenn Sie Ausgang gehabt hätten. Sie sind über die Mauer gestiegen, und dafür müßten Sie Ausgangssperre bekommen; und zu guter Letzt sind Sie betrunken heimgekommen, wofür Sie vom College fliegen würden. Ein Verstoß gegen die guten Sitten ist das zufällig auch noch. Angeklagte, was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen? Können Sie irgend etwas zu Ihren Gunsten vorbringen, was gegen Ihre Verurteilung spricht? Möchten Sie eine Zigarette?»
«Danke», sagte Miss Cattermole mit schwacher Stimme.
«Wenn Sie sich», fuhr Harriet fort, «mit dieser bodenlosen Dummheit nicht zufällig von dem Verdacht befreit hätten, das Collegegespenst zu sein, würde ich zur Dekanin gehen. Wie die Dinge aber liegen, hatte die Episode auch ihr Gutes, und ich bin geneigt, Milde walten zu lassen.»
Miss Cattermole sah auf.
«Ist etwas passiert, während ich draußen war?»
«Ja.»
«Oh!» rief Miss Cattermole und brach in Tränen aus.
Harriet sah ihr eine Weile zu, dann holte sie ein großes Taschentuch aus einer Schublade und reichte es ihr wortlos.
«Vergessen Sie das alles jetzt», sagte Harriet, nachdem das Schluchzen sich ein wenig gelegt hatte. «Aber hören Sie mit diesem Unsinn auf. Dafür ist Oxford nicht der rechte Ort. Sie können noch lange genug den jungen Männern nachlaufen – die Welt ist weiß Gott voll davon. Aber diese drei Jahre zu verschwenden, die in Ihrem ganzen Leben einmalig sind, ist
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