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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Kerl, dieser Marston», sagte Mr. Pomfret durchaus liebenswürdig. «Er ist ein großes Tier in der Dramatischen Gesellschaft und verbringt seine Ferien in Deutschland. Ich verstehe nur nicht, wie man sich über Theaterstücke derart ereifern kann. Ich habe zwar für ein gutes Stück auch was übrig, aber von all dem Zeug wie Stilisierung und Perspektivebenen verstehe ich nichts. Sie schon, nehme ich an.»
    «Kein Wort», bekannte Harriet gutgelaunt. «Ich wette, die auch nicht. Jedenfalls weiß ich, daß ich keine Stücke mag, in denen die Schauspieler immerzu Treppen rauf- und runterstolpern müssen oder wo die Beleuchtung so kunstvoll ist, daß man nichts mehr sieht, oder wo man sich von Anfang bis Ende fragt, wozu eigentlich dieses symbolische Dingsda in der Bühnenmitte gebraucht wird, falls überhaupt. So was lenkt mich ab. Da gehe ich lieber ins Holborn Empire und amüsiere mich auf ordinäre Art.»
    «Wirklich?» fragte Mr. Pomfret wehmütig. «Sie hätten wohl nicht Lust, in den Ferien mal in London mit mir auszugehen?»
    Harriet versprach es ihm halb und halb, worüber Mr. Pomfret sich über die Maßen zu freuen schien, und bald fanden sie sich in Mr. Farringdons Wohnzimmer wieder, mitten in einer Horde Studenten beiderlei Geschlechts, die sich zusammendrängten wie die Heringe im Faß und sich bemühten, Sherry und Kekse zu konsumieren, ohne die Ellbogen zu bewegen.
    Es war ein derartiges Gedränge, daß Harriet bis zum Schluß Miss Flaxman nicht zu Gesicht bekam. Mr. Farringdon konnte sich jedoch zu ihnen durchschlagen und brachte gleich noch eine Gruppe junger Leute mit, die unbedingt über Kriminalliteratur reden wollten. Sie schienen ziemlich viel davon gelesen zu haben, dafür aber herzlich wenig anderes. Wenn es an einem College das Fach Kriminalliteratur gäbe, dachte Harriet, würde es dort von Einserkandidaten nur so wimmeln. Die psychologische Analyse schien seit ihrer Zeit ein wenig aus der Mode gekommen zu sein; sie hatte den starken Eindruck, daß an deren Stelle der Wunsch nach Handlung und konkreten Fakten getreten war. Der Vorkriegsernst und die Nachkriegsmüdigkeit schienen vorbei zu sein; jetzt ging das Verlangen nach handfesten Taten, wenngleich die Definitionen dieses Begriffs stark voneinander abwichen. Der Kriminalroman wurde zweifellos deshalb akzeptiert, weil es darin handfeste Taten gab, weil etwas getan wurde, wobei das «Was» bereits vom Autor vorgegeben war. Harriet bekam das Gefühl, daß alle diese jungen Männer und Frauen sich anschickten, eine mühsame Furche in sehr steinigem Boden zu ziehen. Sie taten ihr recht leid.
     
    Etwas tun. O ja. Als Harriet am nächsten Morgen die Situation überdachte, war sie äußerst unzufrieden. Diese Sache mit Jukes gefiel ihr gar nicht. Mit den anonymen Briefen konnte er wohl kaum etwas zu tun haben, denn wie hätte er an dieses Zitat aus der Äneis kommen sollen? Aber der Mann hegte einen Groll gegen das College; er war ein Lump und ein Dieb; der Gedanke war nicht erfreulich, daß er im Dunkeln um die Collegemauern herumzuschleichen pflegte.
    Harriet war allein im Dozentenzimmer, denn alle andern gingen ihrer Arbeit nach. Das Hausmädchen kam mit einem Stapel sauberer Aschenbecher herein, und Harriet erinnerte sich plötzlich, daß Annies Kinder bei den Jukes untergebracht waren.
    «Annie», sagte sie spontan, «wissen Sie, warum Jukes abends, wenn es dunkel ist, nach Oxford hereinkommt?»
    Die Frau sah sie erschrocken an. «Tut er das, Madam? Dann führt er nichts Gutes im Schilde, würde ich meinen.»
    «Ich habe ihn gestern abend in der St. Cross Road herumlungern sehen, an einer Stelle, wo er leicht über die Mauer hätte kommen können. Wissen Sie, ob er jetzt ehrlich ist?»
    «Das weiß ich nicht gewiß, Madam, aber ich würde es bezweifeln. Ich habe Mrs. Jukes sehr gern und möchte ihren Kummer nicht noch vergrößern. Aber Jukes habe ich nie über den Weg getraut. Ich hab mir schon gedacht, ich sollte meine Kinder vielleicht woanders unterbringen. Er könnte womöglich einen schlechten Einfluß auf sie haben, meinen Sie nicht?»
    «Ich meine es ganz entschieden.»
    «Ich wäre die Letzte, die einer anständigen verheirateten Frau Schwierigkeiten machen würde», fuhr Annie fort, indem sie einen Aschenbecher hart auf den Tisch setzte, «und sie hat natürlich recht, wenn sie zu ihrem Mann hält. Aber wenn man Kinder hat, gehen die natürlich vor, nicht wahr?»
    «Natürlich», antwortete Harriet, nicht ganz bei der Sache.

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