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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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unfertigen Großen Hof einbogen.
    In der Kathedrale war es angenehm still. Sie blieb noch eine Weile auf ihrem Platz sitzen, während das Kirchenschiff sich leerte und der Organist noch sein Postludium zu Ende spielte. Dann ging sie langsam hinaus und wandte sich mit der unbestimmten Absicht nach links, noch einmal die herrliche Treppe und den Speisesaal zu bewundern, als plötzlich ein schlanker junger Mann in grauem Anzug mit solchem Schwung aus einem dunklen Eingang geschossen kam, daß er voll gegen sie anrannte und sie beinahe zu Boden riß. Ihre Tüten und Päckchen flogen im hohen Bogen über die Steinplatten der Plinthe.
    «Mist!» sagte eine Stimme, bei deren unerwartet vertrautem Klang ihr das Herz höher schlug. «Hab ich Ihnen weh getan? Sieht mir wieder ähnlich – hier herumzuwetzen wie eine wildgewordene Hummel in der Flasche. Tölpel, elender! Bitte, bitte sagen Sie, daß ich Ihnen nicht weh getan habe, sonst muß ich spornstreichs hingehen und mich im Merkursbrunnen ertränken.» Er streckte den Arm, mit dem er Harriet nicht stützte, in die ungefähre Richtung des Brunnens aus.
    «Kein bißchen, danke», sagte Harriet, indem sie sich wieder aufrappelte.
    «Gott sei Lob und Dank. Heute ist mein schwarzer Tag. Ich hatte eben erst eine unerfreuliche Unterredung mit dem Zensor. War in diesen Päckchen was Zerbrechliches? Ach, sehen Sie mal! Ihre Handtasche ist aufgegangen, und die ganzen Dukaten sind die Treppe hinuntergerollt. Bitte rühren Sie sich nicht vom Fleck. Sie bleiben hier stehen und denken sich Schimpfnamen für mich aus, und ich lese die Dinger auf den Knien einzeln auf und sage bei jedem: Mea culpa.»
    Und er setzte seine Worte gleich in die Tat um.
    «Dem Gebäck ist das nicht bekommen, fürchte ich.» Er sah zerknirscht zu ihr auf. «Aber wenn Sie sagen, daß Sie mir verzeihen, gehen wir in die Küche und holen uns neues – echte Meringen, wohlgemerkt – Spezialität des Hauses und so.»
    «Bitte keine Umstände», sagte Harriet.
    Er war es natürlich nicht. Es war ein Jüngling von einundzwanzig, höchstens zweiundzwanzig Jahren, mit dichtem, welligem Haarschopf, der ihm bis über die Stirn fiel, einem hübschen, kecken Gesicht voll Charme, wenn auch mit einem andeutungsweisen Zug von Labilität um die geschwungenen Lippen und die schräg nach oben gezogenen Brauen. Aber die Haarfarbe stimmte – das helle Gelb reifer Gerste; auch die etwas nuschelnde Sprechweise mit den abgehackten Silben, und der Redeschwall; ebenso das rasche, etwas verschämte Lächeln; vor allem aber die schönen, sensiblen Hände, die soeben geschickt die «Dukaten» einsammelten und wieder in die Tasche legten.
    «Ich habe noch keine Schimpfnamen gehört», sagte der junge Mann.
    «Nein, aber ich glaube, einen Namen könnte ich Ihnen geben», antwortete Harriet. «Heißen Sie nicht – oder sind Sie nicht vielleicht mit Peter Wimsey verwandt?»
    «Aber ja», sagte der junge Mann, indem er sich in die Hocke setzte. «Er ist mein Onkel – zum Glück aber kein Onkel Shylock», fügte er hinzu, wie wenn sich ihm da plötzlich eine betrübliche Gedankenverbindung ergeben hätte. «Haben wir uns schon mal irgendwo gesehen? Oder haben Sie nur geraten? Sie finden doch wohl nicht, daß ich ihm ähnlich bin, oder?»
    «Als Sie sprachen, habe ich Sie im ersten Moment für Ihren Onkel gehalten. Doch, Sie sind ihm sehr ähnlich, in gewisser Weise.»
    «Das wird meiner alten Dame allerdings das Herz brechen», meinte der junge Mann grinsend. «Onkel Peter ist kein gerngesehener Gast bei Hofe. Aber ich gäbe was darum, wenn er jetzt hier wäre. Er käme mir im Moment ungemein gelegen. Aber er scheint wieder mal irgendwohin abgeschwirrt zu sein, wie immer. Ein richtiger Streuner, nicht? Ich höre also, daß Sie ihn kennen – den üblichen Schmus von der Welt, die so klein ist, habe ich jetzt vergessen; setzen wir’s einfach als bekannt voraus. Wo ist der alte Knabe denn eigentlich?»
    «Ich glaube, in Rom.»
    «Typisch. Das heißt, ich muß ihm schreiben. Es ist so schwer, jemanden brieflich von etwas zu überzeugen, finden Sie nicht? Ich meine, man muß da so vieles erklären, und der gute alte Familiencharme läßt sich schwarz auf weiß so schlecht zur Geltung bringen.» Er lächelte sie mit entwaffnender Offenheit an und las das letzte verirrte Geldstück auf.
    «Verstehe ich Sie recht», fragte Harriet ein wenig belustigt, «daß Sie die Absicht haben, an Onkel Peters gutes Herz zu appellieren?»
    «So ungefähr»,

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